Tod in Blau
solltet euch nicht
über Kunst streiten«, sagte sie gelassen. »Die Kunst ist
tot, sie verändert nichts. Der Ausweg kann nur in der politischen
Revolution liegen.«
»Faszinierend, nicht
wahr?«, sagte Clara.
Leo zuckte schuldbewusst
zusammen. »Verzeihung, das war doppelt unhöflich. Ich habe Sie
vernachlässigt und außerdem einer fremden Unterhaltung
gelauscht. Kommen Sie öfter her?«
Clara trank einen Schluck
Wein und zündete sich eine Zigarette an. Dass Frauen in der Öffentlichkeit
rauchten, wäre vor kurzem noch undenkbar gewesen, dachte Leo flüchtig.
»Gelegentlich. Wenn man
sich zu oft hier herumtreibt, verliert es an Reiz. Ich hebe es mir für
besondere Tage auf.«
Er spürte, wie ihm
angenehm warm wurde. »Erzählen Sie mir etwas über dieses
Café.«
Clara legte den Kopf in den
Nacken und ließ einen Rauchkringel emporsteigen. Das dunkelrote
Kleid passte wunderbar zu ihren Haaren, die im künstlichen Licht fast
mahagonifarben schimmerten. Sie deutete mit der Zigarette nach hinten.
»Der kleinere Raum da drüben ist das ›Bassin für
Schwimmern Dort treffen sich die Erfolgreichen, Maler wie Grosz und
Slevogt zum Beispiel.«
»Auch Arnold Wegner?«,
warf er rasch ein.
»Ist der nicht vor
kurzem gestorben?«
Er nickte. »Ich
untersuche den Fall, aber lassen Sie uns heute nicht über solche
Dinge sprechen. Verzeihen Sie, dass ich Sie unterbrochen habe.«
»Ich weiß nicht,
ob er hier verkehrte, wundern würde es mich nicht. Da oben befindet
sich die Galerie, auch ›Balustrade‹ genannt, auf der sich
die Schachspieler treffen. Angeblich findet man nirgendwo sonst in Berlin
eine so gute Atmosphäre fürs Spiel. Und wir sitzen im ›Bassin
für Nichtschwimmern«
»Mitten unter den
weniger Erfolgreichen?«
»Nicht unbedingt. Hier
treffen sich die Schriftsteller und Reporter, berühmte und weniger
berühmte. Jeder hofft, irgendwann seinen Namen auf einem Roman oder
unter einem Artikel in der Berliner lllustrirten zu lesen. Natürlich
gelingt das nur den wenigsten. Die anderen hoffen, dass etwas von dem
Glanz der Arrivierten auf sie abfärbt.«
»Erstaunlich, wie viel
ich noch lernen kann, obwohl ich in Berlin geboren bin«, sagte Leo
und leerte sein Bierglas. Der Rauch von Zigaretten, Zigarren und Pfeifen,
der wie ein Dunstschleier über den Tischen hing, machte ihn durstig.
»Und wo kommen Sie her?«
»Aus Mecklenburg, einem
kleinen Ort, den Sie kaum kennen dürften.«
Leo spürte, wie Clara
Bleibtreu sich innerlich zurückzog. Eine Frau, die selbstständig
wirkte und zupacken konnte, die rauchend im Romanischen Café saß
und sich ganz gelassen in dieser Welt bewegte. Doch wie sollte er sie
besser kennen lernen, wenn sie davor zurückscheute, von sich selbst
zu erzählen?
Clara schien die kleine
Missstimmung zu bemerken, stützte das Kinn in die Hand und schaute
Leo lächelnd an. »Wie war das doch mit diesem Wegner? Oder dürfen
Sie nicht darüber sprechen?«
»Was einmal in den
Zeitungen stand, ist nicht mehr geheim. «
»Ich muss es übersehen
haben«, gestand sie ein wenig beschämt. »Manchmal hinke
ich mit den Tagesnachrichten ein bisschen hinterher.«
»Nun ja, Arnold Wegner
wurde am 21. November tot in seinem Atelier in den Rehbergen aufgefunden.
Verbrannt.«
»Und es war kein
Unfall? Ich meine, sonst hätten Sie doch nichts damit zu tun, oder?«
Leo winkte dem Kellner, um
noch ein Bier zu bestellen. Claras Glas war noch zur Hälfte gefüllt.
»Die Tatumstände
lassen darauf schließen, dass er ermordet wurde«, sagte er nüchtern.
»Haben Sie schon eine
Spur?«
Leo schüttelte den Kopf.
»Nichts wirklich Schlüssiges. Es könnte familiäre
Ursachen haben, vielleicht auch Rivalität unter Künstlerkollegen,
wir tappen noch ziemlich im Dunkeln.« Leo sehnte sich bisweilen
danach, mit unbeteiligten Dritten über einen Fall zu sprechen, da sie
ihn unvoreingenommener betrachten konnten. Wer das Opfer nicht gesehen,
die Hinterbliebenen nicht erlebt hatte, empfand viele Dinge anders als die
Polizeibeamten, die entstellte Leichen untersuchen und deren Familien die
furchtbare Nachricht überbringen mussten. Andererseits war es natürlich
nicht zulässig, Außenstehende zu weit ins Vertrauen zu ziehen.
»Sie dürfen nicht
darüber sprechen«, stellte Clara sachlich fest. »Schade.
Es hätte mich interessiert.«
Leo trank einen großen
Schluck und
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