Tod in Blau
stellte sein Glas ab. Dann beugte er sich vor. »Wenn es
vorbei ist, werde ich Ihnen alles erzählen, versprochen.«
*
Der Abschied vor Claras Haustür
verlief eher förmlich, nur ein Händedruck, doch Leo spürte
auch ein leises Zögern, bevor sie seine Hand losließ, als täte
es ihr ein wenig leid.
»Ich danke Ihnen für
den schönen Abend«, sagte sie sanft. »Und das nächste
Mal suchen Sie das Lokal aus.«
Sein Herz schlug heftig, als
die Tür hinter Clara ins Schloss fiel, und er spürte noch den
Druck ihrer Hand. Er ging langsam nach Hause, als wollte er sich nicht
eingestehen, dass der Abend vorüber und die Nacht angebrochen war. Er
sah auf die Uhr. Kurz vor elf. Hoffentlich war Frau Meyer nicht
ungehalten, dass er ihre Hilfe so lange in Anspruch genommen hatte.
Leo überlegte flüchtig,
ob es richtig gewesen war, Clara von dem Fall Wegner zu erzählen,
sagte sich dann aber, dass seine verheirateten Kollegen
vermutlich nicht anders handelten. Denn wie sollte man das ertragen, ohne
mit anderen darüber zu sprechen?
Dann ließ er sich noch
einmal Claras letzten Satz auf der Zunge zergehen. Er schmeckte nach
Anfang.
15
Leo hatte das gemeinsame
Sonntagsessen mit Robert und den Kindern verschieben und erneut die Hilfe
der netten Frau Meyer in Anspruch nehmen müssen. Natürlich hätte
er die Kollegen in die Togostraße schicken können, doch der
Drang, den Dingen selbst auf den Grund zu gehen, der immer wieder zu
Reibereien mit seiner Schwester führte, ließ ihm keine Ruhe.
Geltungssucht hatte Ilse es genannt, doch er empfand es als selbstverständlich,
dass er als leitender Kommissar persönlich vor Ort war. Leo wusste,
dass die Menschen hier der Polizei oft misstrauisch begegneten, und hatte
es daher vorgezogen, allein zu Familie Görlich zu gehen, während
Walther noch einmal Thea Pabst wegen des Porträts aufsuchen sollte.
In der Togostraße
reihten sich große Mietshäuser aneinander, Emailleschilder
zeugten von den zahlreichen Gewerbebetrieben in den Höfen dahinter.
Auf den Gehwegen spielten ganze Horden von Kindern, der einzige Reichtum,
mit dem die Familien in dieser Gegend aufwarten konnten.
Nr. 79B war ein besonders großes
Gebäude mit schmuckloser grauer Putzfassade und gleichförmigen
Fensterkreuzen, das schon von außen trostlos wirkte. Leo drückte
die Klinke der großen Flügeltür hinunter und wurde in der
Durchfahrt beinahe von einem Jungen umgerannt, der ein kaputtes
Steckenpferd hinter sich herzog und es furchtbar eilig zu haben schien.
»Kiek doch, wo de
hinloofst«, brüllte er und stürmte an Leo vorbei, bevor
der ihn festhalten konnte.
Dann rasten zwei andere
Jungen hinterher. »Wo isser hin?
Det Aas hat unser Pferd
jeklaut«, schrie der eine. Leo antwortete mit einem Achselzucken und
ging grinsend weiter. Er erinnerte sich an seine Jugend in Moabit. Auch er
war ein ungestümer Bengel gewesen, der Äpfel von Verkaufskarren
klaute und Türklinken mit Leim bestrich. Im Hof blieb er stehen,
schaute sich um und hielt instinktiv den Atem an. Die Luft schien zu
stehen und war trotz der Kälte vom Gestank menschlicher Ausdünstungen,
billiger Kohlgerichte und Fäkalien erfüllt.
Das ist der Unterschied,
dachte er, so etwas hatte es in der Welt seiner Kindheit nicht gegeben.
Die Gemüsehandlung seines Vaters hatte immerhin genug eingebracht, um
eine kleine, aber saubere Wohnung im Souterrain des Vorderhauses zu
mieten, möglichst weit weg vom ersten und zweiten Hof, da mit der
Entfernung von der Straße auch Schmutz und Armut wuchsen. Seine
Eltern hatten um ihre Ehrbarkeit gekämpft, ein bürgerliches
Leben war ihnen wichtiger gewesen als alles andere. Daher hatte es seinem
Vater auch nicht sehr gefallen, dass sein Sohn zur Polizei ging; er schien
zu befürchten, der Umgang mit Verbrechern könne auf Leo abfärben.
Er warf nur einen flüchtigen
Blick auf den stummen Portier, weil die Emailleschilder mit den Namen der
Mieter meist hoffnungslos überholt waren, und wandte sich an einen
vorübergehenden Mann, der eine zweirädrige Karre hinter sich
herzog. »Verzeihung, in welchem Aufgang finde ich Familie Görlich?«
Der Mann blieb mit einem Ruck
stehen. Seine tiefliegenden Augen blickten feindselig. »Was wolln Se
denn von denen?«
»Das möchte ich
lieber selbst mit ihnen besprechen«, erwiderte Leo knapp, da ihm der
unverschämte Ton
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