Tod in Blau
Levasseur. »Er schien sich an
einen gewissen Ehrenkodex zu halten, nach dem er Künstlern nicht die
Frau ausspannte. Da verlegte er sich lieber auf Modelle, manchmal auch aus
besten Kreisen.«
»Er liebte die
Provokation«, warf Kollender ein.
»Ich hörte etwas
von einem Gemälde mit Maden«, sagte Leo.
Die Männer lachten.
»Ja, die Gräfin
Zernowitz hatte sich ihr Porträt wohl etwas anders vorgestellt.
Delikat war, dass sie vorher überall herumerzählt hatte, sie ließe
sich von Arnold Wegner malen. Danach wurde sie ständig gefragt, was
denn aus dem Porträt geworden sei und wann sie es endlich in ihren
Salon hängen wolle. Aber ermordet hat sie ihn deshalb wohl kaum.«
»Sie wüssten also
niemanden, der so eifersüchtig war, dass er Wegner deswegen getötet
hätte?«
Kollender antwortete mit
einem Schulterzucken. »Sicher ist man da nie, aber Arnold war…
wie soll ich sagen, sehr liebenswürdig. Er machte es einem nicht
leicht, ihn zu hassen.«
»Dennoch muss ihn
jemand so sehr gehasst haben, dass er ihn bei lebendigem Leibe anzündete«,
warf sein Freund bedrückt ein.
»Wie sieht es denn mit
seiner Familie aus, seiner Frau, meine ich? Kennen Sie Nelly Wegner? Wie
hat er von ihr gesprochen? Sprach er überhaupt von ihr?«
Leo spürte, dass den Männern
die Frage unangenehm war. Kollender schaute zur Decke, Levasseur holte
umständlich eine neue Zigarette aus einem zerkratzten Silberetui.
Schließlich räusperte er sich.
»Wir haben Arnolds Ehe
nie ganz verstanden. Er lud keinen von uns je zu sich
nach Hause ein. Seine Frau lebe sehr zurückgezogen und verkehre nicht
in Künstlerkreisen, pflegte er zu sagen. Ich habe mich immer über
diese Ehe gewundert, sie schienen so wenig gemeinsam zu haben.«
Kollender hob die Hand.
»Ich muss dich kurz unterbrechen, Kurt. Einmal war sie doch hier, du
warst seinerzeit in Paris. Mutter Freese feierte damals ihren Sechzigsten,
und Arnold brachte Nelly mit. Zuerst stellte er sie allen möglichen
Leuten vor, Dix und Grosz, Beckmann war auch da, doch bald wirkte er wie
verwandelt, saß nur mit ihr an einem Tisch und redete kaum noch. Sie
sind schon gegen zehn gegangen. Ich glaube, sie wollte unbedingt nach
Hause.«
Das passte zu allem, was
Nelly Wegner und Alfred Salomon ihnen erzählt hatten, dachte Leo,
aber eine unerfüllte Ehe allein war noch kein Motiv für einen
Mord.
»Wissen Sie, wer mir
sonst weiterhelfen könnte?«
Levasseur deutete mit der
Zigarette auf die Theke. »Mutter Freese. Wenn er jemandem sein Herz
ausgeschüttet hat, dann ihr.«
Leo bedankte sich für
das Gespräch und begab sich an die Theke. Mutter Freese polierte Gläser
und redete dabei mit drei Gästen zugleich. Ihr unnatürlich
schwarzes Haar war zu einem lockeren Zopf geflochten, der lang den Rücken
hinunterfiel und von einem Lederband gehalten wurde. Über ihrer weißen
Bluse trug sie eine ungewöhnliche perlenverzierte Lederweste, die Leo
an Zeichnungen aus Georgs Wildwestromanen erinnerte.
Er wartete höflich, bis
die Gäste eine Gesprächspause einlegten, und stellte sich
diskret vor. Mutter Freese sah ihn an und sagte ohne das geringste
Erstaunen: »Sie sind wegen Arnold hier.«
»Das ist richtig, Frau
Freese. Könnte ich einen Augenblick mit Ihnen sprechen?«
Sie nickte und winkte einer
Bedienung zu, die ihren Platz hinter dem Tresen einnahm, und führte
Leo in ein Hinterzimmer, wo sie ihm einen Platz auf einem reichlich harten
Stuhl anbot. Sie selbst blieb stehen, zündete sich eine Zigarre an
und paffte drauflos.
»Ich hab die Leute
reden hören, aber nichts drauf gegeben. Wenn Sie wüssten, welche
Märchen und Gerüchte hier umlaufen, da muss doch wenigstens
einer einen kühlen Kopf bewahren. Und jetzt wollen Sie von mir hören,
wer's gewesen ist.«
»Nicht unbedingt. Aber
ich möchte Sie um Hinweise bitten. Vor allem interessiert mich, ob
Herr Wegner mit Ihnen über persönliche Dinge gesprochen hat.
Seine Ehe zum Beispiel.«
»Hm, er war keiner, der
viel über Privates redete. Er sprach gern über andere Menschen,
über seine Kunst, über gutes Essen. Aber jetzt, wo Sie mich
fragen …« Sie schien angestrengt nachzudenken und setzte sich
nun doch. Dann stützte sie die drallen Arme auf den Tisch und
richtete die Zigarre wie eine Waffe auf Leo.
»Doch, da war etwas,
vor etwa einem halben Jahr. Arnolds Frau wollte
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