Tod in Blau
gebracht, was noch im Atelier war. Die
Bilder gehören jetzt mir. Ich hole Ihres. Die übrigen werde ich
wohl auch verkaufen.«
Nach einigen Minuten kam sie
mit einem großen, flachen Paket zurück. »Ich hoffe, so
geht es.«
Thea strich flüchtig darüber,
bevor sie es unter den Arm klemmte. Sie war erleichtert, dass die
Begegnung mit Arnolds Witwe so glatt gelaufen war. An der Wohnungstür
drehte sie sich noch einmal um.
»Ja, und viel Glück
bei der Adoption, Frau Wegner.«
*
Aus den beiden großen
Fenstern, die die Tür des unauffälligen Hauses in der
Mommsenstraße flankierten, ergoss sich warmes gelbes Licht auf den
nassen Gehweg. In die Scheiben war in schrägen Lettern der Name
Palette eingeschliffen. Leo schüttelte das Wasser von seinem Hut und
ging die drei Stufen zum Eingang hinauf. Er hatte den Sonntagnachmittag
mit den Kindern verbracht und nach längerer Zeit wieder einmal Georgs
Hausaufgabenhefte durchgesehen, die so überraschend gut geführt
waren, dass er ihm zur Belohnung einen Besuch in der Urania in der
Invalidenstraße versprach. Dort konnte man sich wissenschaftliche
Experimente ansehen und die Sternwarte besuchen, was Georg sich schon
lange wünschte.
»Will Tante Ilse den
Mann heiraten?«, fragte Marie, während sie hingebungsvoll ihre
Puppe wickelte. »Und kriegt sie dann ein Kind?«
Leo musste schlucken. »So
schnell geht das nicht, Liebes. Sie müssen erst mal sehen, ob sie
sich gern haben. Sie kennen sich ja noch gar nicht lange.«
Georg sah ihn prüfend
an. »Aber sie sind doch schon zusammen verreist.«
»Du hast recht. Aber
wir sollten abwarten, bis Tante Ilse von sich aus etwas erzählt.«
»Na ja«, meinte
Marie gelassen, »wenn sie den Mann heiratet und nicht mehr hier
wohnt, kann die Frau Meyer ja auf uns aufpassen. Bei der dürfen wir
auch viel mehr Bonbons essen als bei Tante Ilse.«
Leo hatte daraufhin seufzend
das Thema gewechselt.
Gegen fünf rief Robert
an und fragte, ob er mit in die »Palette« kommen solle, doch
Leo gab ihm frei. »Wenn wir zu zweit auftauchen, werden die Leute
gleich misstrauisch.« Manche Leute, darunter auch Künstler,
reagierten bisweilen sehr empfindlich, wenn die Polizei in ihr Milieu
eindrang.
Als er die Kneipe betrat,
schlugen ihm angenehme Wärme und der verlockende Duft von
Bohnenkaffee entgegen. Jemand spielte Klavier, ziemlich dissonant, wurde
aber von den Gesprächen und dem Gelächter der Gäste fast
übertönt.
Trotz der frühen Stunde
herrschte Hochbetrieb im Lokal. Leo setzte sich an den letzten freien
Tisch und bestellte bei der Bedienung ein Bier. Die meisten Gäste
waren unkonventionell gekleidet, viele Männer trugen die Haare bis
zum Hemdkragen. Am Nebentisch saß eine Frau im Herrenanzug und
rauchte eine Zigarre. Jeder schien bemüht, schon nach außen zu
demonstrieren, dass er mit der bürgerlichen Gesellschaft wenig im
Sinn hatte.
Er musste plötzlich an
Nelly Wegner denken, die sich wohl nichts mehr gewünscht hatte als
ein ganz gewöhnliches Familienleben, die ein Kind haben wollte, um
Wegners Eskapaden besser ertragen zu können. Robert hatte als Erster
Zweifel an Nellys Unschuld geäußert, und es war eine Tatsache,
dass die meisten Morde von engen Angehörigen
und Ehegatten begangen wurden. Doch solange sie keine greifbaren Hinweise
hatten, mussten sie weitersuchen. Als sein Bier kam, hielt er die
Bedienung mit einer Handbewegung auf.
»Verzeihung, ich habe
eine Frage: Kannten Sie Arnold Wegner?«
Die junge Frau mit den
blutroten Lippen sah ihn erstaunt an. »Sie sind wohl zum ersten Mal
hier, sonst würden Sie das nicht fragen. Den Wegner kannte hier
jeder.«
Sie deutete auf die Wand
hinter der Theke, an der zwischen zahlreichen anderen Bildern das Porträt
einer ungeheuer dicken Frau mit pechschwarzen Haaren hing. »Unsere
Wirtin, Mutter Freese. Das hat Wegner gemalt, um eine Monatsrechnung zu
begleichen.«
»Kommt es öfter
vor, dass Leute mit Kunst bezahlen?«
Sie lachte. »Ständig.
Leider werden nicht alle berühmt, und dann bleiben wir auf den
Bildern sitzen. Aber der eine oder andere hat sich tatsächlich einen
Namen gemacht.«
»Kannten Sie Wegner
denn näher? Hat er mit Ihnen über persönliche Dinge
gesprochen?«, fragte Leo und trank einen Schluck Bier.
Die Bedienung schaute ihn
jetzt genauer an. »Warum wollen Sie das wissen? Wollen Sie
Weitere Kostenlose Bücher