Tod in Blau
köstlicher
Duft verbreitete sich im ganzen Raum. In einem Topf brodelten Kartoffeln,
daneben kochte ein Blumenkohl. Magda zeigte auf die Fensterbank. »Und
da draußen kühlt der Schokoladenpudding ab.«
Clara fuhr sich mit der Zunge
über die Lippen und schob den Gedanken an Leo Wechsler erst einmal
weg. Jetzt wollte sie das Abendessen mit ihrer Freundin genießen.
Als sie gemütlich bei
Tisch saßen, tupfte sich Magda die Lippen mit der Serviette ab und
sagte unvermittelt: »Mir ist vorhin etwas Seltsames passiert, Clara.«
Und sie berichtete von Paul Görlichs Besuch in der Praxis.
»Meinst du, er hat sich
das nur ausgedacht?«
Magda schüttelte den
Kopf. »Auf keinen Fall, so einer ist er nicht. Eher hat er etwas
falsch gedeutet. Aber dass er zu mir, einer völlig Fremden, kommt,
statt mit seinen eigenen Eltern zu reden …«
Clara schob ihr Glas langsam
auf der Tischdecke hin und her. »Und wenn nun doch etwas dran wäre,
wenn ihm Gefahr drohte?«
»Ich weiß nicht,
ob es reicht, um damit zur Polizei zu gehen«, meinte ihre Freundin
zweifelnd. »Die haben auch so genug zu tun, das dürfte dein
Kommissar dir wohl erzählt haben. Und wenn sie merken, dass der Junge
hier oben ein bisschen langsam ist, werden sie ihn gewiss nicht ernst
nehmen.«
»Sicher hast du recht,
aber trotzdem - wenn du meinst, dass er nicht lügt, muss etwas dran
sein. Vielleicht solltest du mit seinen Eltern sprechen.«
Magda stöhnte auf.
»Ich gebe den Leuten schon kostenlose Medikamente. Soll ich etwa
auch noch zu ihnen nach Hause gehen und Detektiv spielen? Wo führt
das noch hin?«
Clara musste lachen. »Ach
komm, wenn keiner mehr deine persönliche Hilfe wollte, würde dir
etwas fehlen. Das hier ist doch mal etwas anderes, als immer nur
Bronchitis und Rachitis und Tbc zu behandeln.«
»Ja, und es kostet mich
Zeit.«
Doch Clara kannte Magda gut
genug, um zu wissen, dass die Bitte des Jungen ihr keine Ruhe lassen würde.
*
Bei Wechslers fiel das
Abendessen weniger harmonisch aus. Georg war mit einer schlechten Note in
Rechnen aus der Schule gekommen, und Leo hatte gereizt reagiert, weil er
ohnehin schlecht gelaunt war. Ilse wiederum konnte sich sein Verhalten
nicht erklären, was zu weiterem Unmut führte.
Als Georg auf sein Zimmer
gegangen war, sagte sie beim Abtrocknen: »Warum hast du den Jungen
so angefahren? Er ist gut in der Schule, ein Ausrutscher kann doch mal
vorkommen.«
Leo drehte sein leeres
Bierglas auf der Wachstuchdecke, ohne seine Schwester anzuschauen. Die
dunklen Haare fielen ihm ins Gesicht, aber er strich sie nicht aus der
Stirn, weil er das Gefühl hatte, schon sein Blick könnte ihn
verraten.
»Es tut mir leid, ich
hatte einen schlechten Tag im Büro.«
»Dann solltest du es
deinem Sohn erklären, Leo.« Sie stellte klirrend einen Stapel Teller in den
Schrank. »Geh doch noch mal zu ihm.«
Er stand abrupt auf. »Du
brauchst mir nicht zu sagen, wie ich mit meinem Sohn umgehen soll«,
erwiderte er verärgert, doch etwas hinderte ihn daran, einfach aus
der Küche zu stürmen. Seit Ilse Bruno Schneider kannte, war sie
viel sanfter geworden, dachte er. Früher hätte sie ebenso wütend
reagiert wie er, nun blieb sie gelassen und verständnisvoll.
Verdammt, was sollte er nur
tun? Er verfluchte von Malchow, musste sich aber eingestehen, dass er ihn
immerhin gewarnt hatte, wenn auch aus eigennützigen Motiven.
Andererseits fiel ihm einfach kein Weg ein, wie er seiner Schwester den
Schmerz ersparen konnte. Unschlüssig schob er die Hände in die
Taschen und drehte sich vorsichtig um.
Ilse trocknete weiter ab und
räumte das Geschirr weg, wischte die Wachstuchdecke mit einem
feuchten Lappen ab und rückte die Stühle an den Küchentisch.
Leo ging hinaus und schaute
ins Wohnzimmer. Marie lag auf dem Boden und spielte mit ihrem
Holzbauernhof, den sie im letzten Jahr zu Weihnachten bekommen hatte. Den
Stall hatte Robert gebaut, der ziemlich geschickt mit Hammer und Säge
war, die Tiere hatte Leo gekauft. Marie ordnete die Lämmer um ihre
Mutter an und murmelte dabei vor sich hin. Dann trat er leise vor die Tür
des Kinderzimmers. Unter dem Türspalt fiel Licht durch, Georg hatte
sich also nicht im Dunkeln hingelegt.
Er trat ein. Georg saß
auf seinem Bett, neben sich das aufgeschlagene Heft mit den tintenroten
Korrekturen und sein Schulbuch. Leo setzte sich neben ihn und sagte
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