Tod in Blau
stellten sich um den Tisch herum auf, bevor Leo Handschuhe
überzog und das Blatt vorsichtig aus dem Umschlag holte. Sein Blick
fiel auf die Schrift auf der Rückseite. Die blaue Stunde. Anscheinend
mit blauer Kreide geschrieben. Undatiert.
»Was ist das?«,
fragte Berns und beugte sich neugierig vor, als Leo das Blatt umdrehte.
Vier Köpfe drängten
sich aneinander, leises Murmeln erklang, jemand drehte das Blatt um
hundertachtzig Grad.
»Das ist… sehe
ich das richtig…«, meinte Walther fragend.
Leo nickte. »Ich
glaube, das ist ein Mann, der einen anderen Mann oder Jungen vergewaltigt«,
sagte er nachdenklich. »Es ist nur angedeutet, aber wie er hinter
ihm steht… und seht euch das Gesicht des Jungen an.«
»Der eine trägt
Uniform«, bemerkte Stahnke. »Könnte eine deutsche sein.«
Walther deutete auf die
Schulterstücke. »Ein Offizier.«
»Deutsche Offiziere tun
so etwas nicht«, meinte Berns ironisch.
Leo grinste flüchtig.
»Meine Herren, ich glaube, wir haben den Schlüssel zu diesem
Mord gefunden. Die Zeichnung ist zwar nicht signiert, kann aber im Grunde
nur von Wegner stammen.« Er setzte sich und bot mit einer flüchtigen
Handbewegung seinen Leuten ebenfalls einen Platz an. »Die Tatsache,
dass die Zeichnung an einem so ausgefallenen Ort versteckt war, kann kein
Zufall sein. Entweder hat der Junge sie gestohlen, was ich für
unwahrscheinlich halte, oder von Wegner selbst bekommen. Sollte Letzteres
zutreffen, hat er dem Bild gewiss eine ganz besondere Bedeutung
beigemessen.«
»Glaubst du…«
Walther zögerte noch, »glaubst du, die Szene ist echt? Ich
meine, hat Wegner sie womöglich selbst mit angesehen?«
Stahnke nickte bedächtig.
»Das wäre ein Motiv. Der Täter könnte sich dadurch
bedroht fühlen. Oder erpressbar.«
Leo stützte den Kopf in
die Hand und überlegte. »Wegner hat selten mit Bleistift
gezeichnet, vermutlich ist dies nur ein Entwurf für ein größeres
Gemälde.«
»Aber wo ist dann das
Bild?«, fragte Berns. »Wir haben so etwas weder im Atelier noch bei ihm
zu Hause oder einem der Kunsthändler gefunden.«
»Augenblick.« Leo
hob die Hand und zog die Mappe zu sich heran, die die Unterlagen zum Fall
Wegner enthielt. Er blätterte eine Weile, dann holte er den Bericht
der Spurensicherung hervor. »Ich zitiere: ›In den verkohlten
Überresten fanden sich Holzstücke, die teils von der Staffelei,
vermutlich aber auch von einem Rahmen stammen, dazu verbogene
Metallstifte, mit denen möglicherweise eine Leinwand auf den Rahmen
gespannt war. Somit kann angenommen werden, dass ein Bild auf der
Staffelei gestanden hat, als diese verbranntem«
»Du meinst, er
arbeitete gerade an diesem Gemälde, als man ihn ermordete?«,
fragte Walther.
»Fassen wir noch einmal
zusammen: Wegner wird niedergeschlagen und verbrannt, allem Anschein nach
mitsamt einem Bild, an dem er gerade arbeitete. Bei einem Jungen, der
scheinbar gar nichts damit anfangen kann, findet sich eine seiner Skizzen,
vermutlich die Vorstudie zu einem Gemälde. Der Junge hat sie gut
versteckt und niemandem ein Wort davon verraten, auch uns nicht.«
Walther zog die Skizze noch
einmal zu sich heran. »Ja, da könnte etwas dran sein.
Angenommen, dieser Offizier hat sich tatsächlich an einem Jungen oder
jungen Mann vergangen und Wegner wusste davon. Warum hat er überhaupt
ein Bild gemalt? Er hätte ihn doch einfach mit einem Brief oder mündlich
erpressen können, ihn ausnehmen wie eine Weihnachtsgans.«
»Vielleicht wollte er
einfach nur ein Bild malen«, warf Stahnke ein. »Für eine
Erpressung haben wir bisher keinerlei Anhaltspunkte.«
»Durchaus denkbar«,
stimmte Leo ihm zu. »Wir kommen jedenfalls nicht weiter, solange wir
nicht den Jungen gefunden haben. Es ist Zeit für eine Großfahndung;
falls er den Mann auf dem Bild erkannt hat, befindet
er sich in höchster Gefahr. Sie geben seine Beschreibung an alle
Dienststellen weiter. Ach ja, noch eins, wir haben doch die
Tuschezeichnung, die Wegner von dem Jungen gemacht hat. Die kommt auf die
Suchplakate. Und denkt an den Regenmantel. Sie werden an den üblichen
Stellen ausgehängt, Bahnhöfe, Litfaßsäulen und so
weiter.«
Stahnke und Berns eilten
hinaus. Robert Walther wollte ihnen folgen, doch Leo hielt ihn zurück.
»Robert, ich habe noch
eine Idee. Ich weiß, es ist schon ziemlich spät, aber sprich
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