Tod in Blau
Tiere aufführen müssen.«
Als der tobende Händler
seinen Karren aufgerichtet und die traurigen Reste seiner Waren
eingesammelt hatte, lenkte Stahnke den Wagen um den Karren herum und gab
Gas.
In der Togostraße
bildete sich ein Menschenauflauf, als die drei Dienstwagen anhielten und
ein ganzer Trupp Polizeibeamter in Zivil ausstieg. Hoffentlich war der
Junge nicht seinem Verfolger in die Hände gefallen - oder seinem
Vater, wie Leo in Gedanken hinzufügte.
Der Mann war in seinem Jähzorn zu allem fähig. Leo schickte drei
Leute in den Hinterhof, um die dortigen Ausgänge zu bewachen, und
postierte drei vor der Haustür, falls Paul einen Fluchtversuch
unternehmen sollte. Dann begab er sich mit Stahnke, Berns und Walther auf
den bereits bekannten Weg durchs übelriechende Treppenhaus und
klopfte energisch an die Wohnungstür der Görlichs.
Drinnen rührte sich zunächst
nichts. Später Nachmittag, ob Görlich noch bei der Arbeit war?
Allerdings wirkte er nicht wie jemand, der einer geregelten Tätigkeit
nachging. Leo klopfte noch einmal. Ein Stuhl rutschte über den Boden.
Leise Schritte. Die Tür öffnete sich einen Spalt breit.
Leo schob rasch den Fuß
dazwischen. »Frau Görlich, wir möchten mit Ihrem Sohn
sprechen. Sofort.« Er hörte, wie sie in ein Taschentuch
schniefte. »Frau Görlich, wenn Sie mich nicht hereinlassen,
komme ich mit einem Durchsuchungsbefehl wieder.«
Endlich wich sie zurück
und ließ die vier Männer eintreten, die kaum in die enge Stube
zu passen schienen. Erschrocken blickte sie von einem zum anderen.
»Und wo ist Ihr Mann?«
Leo verlor allmählich die Geduld.
»Der… is nich
da. Und der Paul auch nich. Ich weiß nich, wo er steckt.«
»Seit wann vermissen
Sie ihn denn?«
»Wieso vermissen? Der
bleibt schon mal 'n paar Stunden weg.«
Leo hätte sie am
liebsten gepackt und durchgeschüttelt. »Wann genau haben Sie
ihn zuletzt gesehen?«
Die Frau schaute zu Boden. Im
Nebenzimmer begann das Kind zu weinen, und sie wollte schon hineilen, doch
Leo vertrat ihr rasch den Weg. »Erst beantworten Sie meine Frage.«
Walther schaute ihn überrascht
an, da Leo sonst eher sanft mit den Leuten umging, die er befragte, doch
diese Frau schien keine freundlichen Gefühle in
ihm zu wecken. Er selbst war noch nicht in der Wohnung gewesen und schaute
sich jetzt verstohlen um. Es roch nach feuchter Wäsche, Essensdünsten,
schmutzigen Windeln - der Geruch der Armut. Dass Menschen so hausen
konnten, war ihm unbegreiflich.
Frau Görlich schaute
unsicher zwischen der Verbindungstür und dem Kommissar hin und her,
dann sagte sie: »Er ist seit gestern Abend nich nach Hause gekommen.«
» Was? Und Sie machen
sich keine Sorgen um ihn?«
»Er wollte abends noch
zum Oster gehn«, sagte sie entschuldigend. »Vielleicht ist er
da geblieben.«
»Was hatte er an?«
Hoffentlich hatte sie wenigstens einen Blick auf ihren Sohn geworfen,
bevor er die Wohnung verließ.
Sie überlegte. »Ach,
das Übliche. Nee, warten Se, er hatte das komische Ding an, so'n
alten Regenmantel vom Oster. Grau. Und viel zu groß.«
Immerhin etwas. »Wir
kommen wieder, Frau Görlich, und wenn ich Ihren Mann dann nicht hier
antreffe, bekommt er gewaltigen Ärger, das können Sie ihm
ausrichten. Ihr Sohn ist ein wichtiger Zeuge in einem Mordfall und steht
von jetzt an unter Polizeischutz.« Mit diesen Worten machte er auf
dem Absatz kehrt, die Kollegen folgten ihm in den Flur.
»Leo, wieso…?«,
setzte Robert vorsichtig an, aber sein Freund fuhr ihm über den Mund.
»Das kann ich dir
sagen. Weil diese Frau ihren Sohn vernachlässigt und zusieht, wie der
Vater ihn misshandelt. Sie interessiert sich nur für das jüngere
Kind. Was den Vater angeht, den würde ich ohnehin am liebsten
wegsperren. Dann hat der Junge endlich einen Erwachsenen gefunden, der
freundlich zu ihm war, und der wird umgebracht. Paul wird ständig
ausgelacht und von den eigenen Eltern für blöd gehalten. Es kümmert
niemanden, dass er über Nacht wegbleibt! Er könnte irgendwo
ermordet liegen, und die Mutter schert sich einen Dreck darum.«
Stahnke und Berns sahen sich
vielsagend an. Wenn der Chef in Wallung geriet, hielt man am besten den
Mund und parierte. Allerdings mussten sie zugeben, dass die Mutter tatsächlich
alles andere als besorgt gewirkt hatte.
»Es ist nicht weit, wir
können zu Fuß gehen«, sagte Leo, als sie
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