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Tod in Blau

Tod in Blau

Titel: Tod in Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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Mäuse auf. Von
     dem Jungen war keine Spur zu entdecken.
    Dann prallte Walther um ein
     Haar mit einer alten Frau zusammen, die, in ein riesiges Umschlagtuch gehüllt,
     mit einem Korb in der Hand über den Hof schlurfte. Sie blickte ihn
     aus trüben Augen an. »Wat ham Se denn verloren, junger Mann?«
    »Wir suchen Paul Görlich,
     kennen Sie den?«
    Sie nickte und öffnete
     den Mund, wobei sie zahnlose Kiefer enthüllte. »Klar kenn ick
     den. Nich ville im Kopp, aba nett.«
    »Haben Sie ihn heute
     schon gesehen?«
    »Nee, det nich, aba
     gucken Se mal im Karnickelstall nach. Da jeht er öfter hin.«
     Sie deutete mit einer blaugeäderten Hand in den nächsten Hof.
    *
    Paul lief ziellos durch die
     Stadt. Wusste nicht, wo er die Nacht verbringen sollte. Die Angst trieb
     ihn immer weiter. Weil es so kalt war, lagen die meisten Straßen
     verlassen da. Und wer sich nach draußen wagte, hatte es
     eilig und keinen Blick für einen Jungen in einem viel zu großen
     Regenmantel, der ab zu und stehen blieb und sich suchend umsah. Er zog den
     Mantel enger um sich.
    Vielleicht konnte er in einem
     Keller unterkriechen, da war es nicht ganz so kalt. Er merkte kaum, dass
     er immer weiter nach Süden lief, seinen heimatlichen Kiez verließ
     und in eine Gegend gelangte, in der er nie zuvor gewesen war. Von einem Bäckerkarren
     schnappte er sich eine Schrippe. Er stahl sonst nie, doch der Hunger war
     zu groß. Zum Glück merkte der Besitzer nichts, denn Paul hätte
     nicht mehr weglaufen können, so müde war er. Seine Beine waren
     nicht nur schwer vor Erschöpfung, sondern auch steif vor Kälte.
    Dann wurde die Gegend
     belebter. Hell erleuchtete Geschäfte, Automobile, klingelnde Straßenbahnen,
     Werbetafeln mit schönen Waschmitteldamen und Filmschauspielerinnen.
     Der Junge schaute sich unsicher um. Alles war laut und grell, hier fühlte
     er sich gar nicht wohl. Schnell bog er nach links ab in eine Straße,
     die viel dunkler aussah und von niedrigen Häusern gesäumt wurde.
     Einerseits machte ihm die Dunkelheit Angst, andererseits bildete er sich
     ein, dass es dem Mann hier schwerer fallen würde, ihn zu finden. Das
     Kopfsteinpflaster schimmerte vor Nässe, es begann zu frieren, der
     Boden wurde rutschig. Paul stolperte mehrmals, musste sich an kalten Hauswänden
     abstützen. Aus den Augenwinkeln sah er Frauen in kurzen, grellbunten
     Kleidern, die in Hauseingängen standen und ihm lachend nachschauten.
     Aus Kellerkneipen drangen Gelächter und Musik.
    Hätte er den Ruf der
     Linienstraße gekannt, wäre er womöglich lieber im Reich
     der glitzernden Lichter geblieben.
    *
    »Hier drüben, Leo!«,
     rief Walther und winkte mit der Lampe. Sie eilten hin. Der Kaninchenstall
     war wie ein kleines Häuschen gebaut, drinnen lag ein Haufen altes
     Stroh. Leo zog an der Tür, die knarrend
     aufschwang, und tastete im Stroh. »Hier ist was. Taschentuch«,
     sagte er und nahm ein blaues, ordentlich gebügeltes Exemplar
     entgegen, das Berns ihm reichte. Damit zog er eine zerschrammte Kaffeedose
     hervor. »Halt mal den Mantel auf«, sagte er zu Walther und schüttete
     den Inhalt aus. Eine Holzspule mit rotem Garn, Sammelbildchen, eine
     angerauchte Zigarre, eine ausländische Münze, zwei Bonbons. Ein
     Geldschein. Und ein Stück grüne Ölkreide. Die armseligen
     Sachen wirkten anrührend, wie sie auf dem weichen Stoff von Walthers
     Wintermantel lagen.
    Er tastete weiter. Ein
     Knistern. Vorsichtig griff er mit dem Taschentuch nach dem Blatt Papier
     und zog es unter dem Stroh hervor. »Holen Sie bitte einen Umschlag
     aus dem Wagen«, wies er Stahnke an. Als dieser mit dem braunen
     Sackumschlag zurückkam, schob Leo das Blatt hinein und kehrte mit
     seinen Männern auf die Straße zurück.
    »Und?«, fragte
     Walther gespannt.
    »Im Büro«,
     meinte Leo knapp, der den Fund bei vernünftiger Beleuchtung
     untersuchen wollte. »Die Dose nehmen wir auch mit. Sie bleiben hier«,
     sagte er zu den Männern, die das Haus bewachten. »Ich schicke
     gleich ein paar Schupos als Ablösung.« Sie nickten und bezogen
     wieder ihre Posten vor Haustür und Hintereingang.
    Im Präsidium eilten die
     vier Beamten in Leos Büro. Fräulein Meinelt hatte inzwischen
     Feierabend gemacht; die Schreibmaschine war sorgfältig abgedeckt, der
     Stuhl an den Tisch geschoben. Leo sah auf die Uhr. Dann mussten Stahnke
     oder Berns eben den Bericht stenographieren und morgen tippen lassen.
    Sie schalteten sämtliche
     Lampen ein und

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