Tod in Blau
verlegen, entschloss sich dann aber, die Provokation zu ignorieren.
»Fräulein Pabst, Sie haben sich doch häufiger im Atelier
Wegner aufgehalten. Haben Sie dort je eine Skizze mit dem Titel ›Die
blaue Stunde‹ gesehen?«
Thea legte den Kopf ein wenig
schief und dachte nach. »Nein, der Titel sagt mir nichts.«
Walther holte den Umschlag
mit der Skizze hervor und legte sie auf den Sofatisch. Thea warf einen flüchtigen
Blick darauf und schüttelte den Kopf. »Nein, die habe ich noch
nie gesehen. «
»Eine ziemlich
provokante Darstellung, nicht wahr?«, fragte Walther.
Castorff trat neben ihn,
schaute das Bild an und grinste. »Damit können Sie Thea nicht
schockieren.« Doch als er Walthers ungehaltenen Blick bemerkte,
wandte er sich wieder seiner Tasche zu.
Thea nahm die Skizze und trat
damit unter die Lampe. »Ganz schön brutal, aber es passt zu
Arnold. Er legte immer Wert auf größte Wahrhaftigkeit, ob im
Schönen oder Hässlichen.« Sie schien zu zögern. Eine
gewisse Spannung lag in der Luft.
»Fällt Ihnen noch
etwas auf, Fräulein Pabst?«, fragte Walther erwartungsvoll.
Sie überlegte, biss sich
auf die Unterlippe. Die Gesichter waren nicht ganz ausgearbeitet. Ein verrückter
Gedanke, und doch, die Ähnlichkeit war da. »Ach, ich weiß
nicht, der Offizier erinnert mich flüchtig an jemanden, den ich
kenne. Aber es ist wohl eine Täuschung.«
»Und an wen haben Sie
gedacht? Sollte es sich als Irrtum herausstellen, wird niemand behelligt,
Fräulein Pabst.«
»Der Mann hat eine
gewisse Ähnlichkeit mit Richard vom Hofe, einem guten Bekannten«,
sagte sie leise. Castorff hörte schweigend zu, seine Augen wurden
immer größer.
»Was können Sie
mir über ihn sagen?«
Thea sah auf die Uhr, doch
der Blick des Kriminalbeamten verriet ihr, dass sie sich in dieser Lage
keine Ausflüchte erlauben durfte. Sie ließ sich in einen Sessel
fallen, faltete die Hände im Schoß und senkte den Blick.
»Major vom Hofe ist, oder war, ebenfalls mein Geliebter. Arnold
wusste davon. Es störte ihn nicht, unsere Beziehung war sehr offen,
wie ich bereits erwähnte. Bei Richard war es anders, er konnte seine
Eifersucht schlecht verbergen. Vielleicht hat er die Beziehung deshalb
beendet. «
»Herrn vom Hofes
Adresse, bitte.«
Sie nannte eine Anschrift in
Schöneberg.
»Angenommen, die
Zeichnung stellt wirklich Herrn vom Hofe dar. Wie erklären Sie sich
das? Kannten sich die beiden?«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Nicht dass ich wüsste. In meinem Beisein sind sie sich
jedenfalls nie begegnet. Vielleicht kannte Arnold ihn vom Sehen. Er mochte
diesen Typ Mann -ehemaliger Offizier, adlige Herkunft und so weiter - ganz
und gar nicht und hat ihn womöglich deshalb als Modell für ein
provokantes Bild genommen. So etwas kam zuweilen bei ihm vor.«
»Aber wenn das Bild nun
eine Situation darstellt, die tatsächlich stattgefunden hat? Wenn er
sich nun wirklich an einem Knaben vergangen hätte?«, fragte
Walther, dem die Worte ein wenig mühsam über die Lippen kamen.
Hoffentlich war dieses Gespräch bald zu Ende.
»Er war kein besonders
guter Liebhaber, aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, er könne
so veranlagt sein«, erklärte Thea.
»Es gibt genügend
Männer, die zweigleisig fahren«, warf Castorff ein. »Du
hast auch so was Knabenhaftes.«
Walther hatte genug. Er
klappte sein Notizbuch zu. »Ich danke Ihnen, Fräulein Pabst,
Sie haben mir sehr geholfen. Bitte halten Sie sich weiter zu unserer Verfügung.«
Paul irrte durch eine Reihe
von Kellerräumen, immer dem Lichtschein nach, der aber mit jedem
Schritt zurückzuweichen schien. Es roch durchdringend nach Obst, was
komisch war, da nirgendwo Lebensmittel zu sehen waren.
Plötzlich hörte er
leise Stimmen, das Klirren von Glas. Er bog um eine Ecke und stand in
einem Raum, der von einigen Gaslaternen erhellt wurde. An den Wänden
befanden sich Betten aus schmutzigen Matratzen und Strohsäcken, die
mit alten Wolldecken bezogen waren. Einige Männer drängten sich um einen Pappdeckel, auf dem
Brot und braunfleckige Äpfel lagen. Eine Flasche ging herum. Paul
blieb stocksteif stehen, hoffte zwar, nicht entdeckt zu werden, schielte
aber begehrlich auf das karge Abendbrot, das sie sich teilten.
Jetzt drehte sich einer der Männer
um. Er war hager, mit dicken Tränensäcken und schütterem
Haar, das wirr vom Kopf abstand. »Wen ham
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