Tod in Bordeaux
habe Caroline Bescheid gesagt, dass Sie bei uns essen, das ist Ihnen doch recht?»
«Sie sind eine begnadete Köchin, Charlotte.» Martin kehrte in die Küche zurück. Es duftete phantastisch.
Sie nahm das Kompliment so gelassen hin, als hätte sie nichts anderes erwartet. Während des Essens bombardierte sie Martin mit Fragen zum Pechant, zu Bordeaux-Weinen und zu den Unterschieden zwischen den Appellationen am linken Ufer der Gironde, Pauillac, Saint-Estèphe und Margaux, die sich alle in irgendeiner Weise voneinander unterschieden. Es war nicht ganz einfach, ihre Fragen zu beantworten, und Martin scheute sich nicht zu sagen, wenn er etwas nicht wusste.
Die Fragen wirkten ein wenig wie ein Test, obwohl sie charmant gestellt waren. Vielleicht wollte sie sich ein Bild von seiner Kompetenz machen? Oder war es die Macht der Gewohnheit? Mit ihrem Gesicht vor Augen trat er den Heimweg durch die Dunkelheit an, Gastons Aufzeichnungen fest unter den Arm geklemmt.
Kapitel 6
Im Haus brannte noch Licht. Jean-Claude sichtete mit dem Steuerberater die Rechnungen und Belege der letzten Monate. Jemand von der Bank hatte sich überraschend gemeldet und eine Zwischenbilanz verlangt.
Solche Anrufe kamen nur dann, wenn Kredite in Gefahr waren. Martin wunderte sich; woher wusste die Bank von Gastons Tod?
«Stand etwas in der Zeitung über den Mo... über Gastons ... Unfall?» Er hatte Mord sagen wollen, das Wort gerade noch runtergeschluckt.
«Ja», sagte Jean-Claude kurz angebunden,«... eine kleine Meldung - ‹Winzer tödlich verunglückt› - oder so ähnlich.»
Martin ging in den Keller und holte sich eine Flasche Wein - Gastons Pechant von 1995. Er nahm die Flasche, setzte sich auf einen Schemel und starrte die groben grauen Wände an. Was war bloß los?
Fürchteten sie, dass er den Wein verdarb? Kaum anzunehmen, denn Caroline überließ ihm alle Entscheidungen, sowohl im Weinberg wie auch in der Garage, und Jean-Claude war heilfroh, dass nicht er die Verantwortung für den Pechant übernehmen musste. Was hatte Monsieur Jerome gesagt? Dass man auch in der Nachbarschaft seine Arbeit mit Wohlwollen betrachtete? Weshalb dann diese Distanz?
Ob es die Geldsorgen waren? Hatte Caroline Angst, den Weinberg und ihr Haus zu verlieren? Aber für die Tilgung des Kredits war genug Geld da, die Verkäufe vom vorletzten Jahrgang waren besser als erwartet, und die Preise entsprachen den guten Bewertungen der Fachpresse. Der Wein vom letzten Jahr ging Mitte nächsten Jahres in den Handel. Nach den ersten Fassproben war er überdurchschnittlich gut bewertet worden und dank der vielen Reservierungen so gut wie verkauft. Er selbst würde wie üblich 600 Flaschen für Deutschland abnehmen. Das Geld könnte er Caroline sofort geben. Was aber, wenn Gaston als Produzent nicht mehr dahinter stand? Der Pechant konnte über Nacht erheblich an Wert verlieren.
Und was war mit der Lebensversicherung? Bezahlte sie auch, wenn Gaston ermordet worden war? Falls nicht, würde das die Reaktion der Familie erklären. Das konnte er zwar verstehen, dennoch erfüllte es ihn mit Wut, dass die anderen zur Tagesordnung übergingen und bereit waren, mit der Ungewissheit zu leben, ob es Mord oder ein Unfall gewesen war, nach dem Motto: Na ja, Gaston ist eben tot. Mal sehen, irgendwie geht es weiter ...
Martin schrak aus seinen Gedanken. So kam er nicht weiter. Er würde Gastons Aufzeichnungen in Ruhe lesen. Ihr Auftauchen war momentan der einzige Lichtblick, möglicherweise fand er sogar Hinweise auf den Haut-Bourton.
Als er die Treppe zu seinem Zimmer hinaufging, rief Jean-Claude ihn zurück: «Dein Inspektor hat angerufen!» Missbilligend sah er den Pechant in Martins Hand.
Mit diesem Anruf hatte Martin kaum mehr gerechnet. «Was hat er gewollt? Ist er nun von der Polizei oder nicht?»
«Woher soll ich das wissen. Er sagte, er könnte deine Hilfe brauchen und dass er sich wieder meldet.»
«Hast du seine Nummer notiert?»
«Wieso sollte ich? Nein, er will wieder anrufen.»
Martin schluckte seinen Ärger runter. Jean-Claude hätte Grivot seine Handy-Nummer geben können. Dass er es nicht getan hatte, zeigte sein mangelndes Interesse an der Sache. Kaum brachte er das Gespräch auf Gastons Tod, blockte Jean-Claude ab.
«Darf ich mir die Abrechnungen morgen mal ansehen?», sondierte Martin vorsichtig und hoffte, unter den Belegen irgendeine Notiz zu finden, die auf eine Verbindung von Gaston mit LaCroix oder dem Haut-Bourton hindeuten würde.
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