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Tod in Bordeaux

Tod in Bordeaux

Titel: Tod in Bordeaux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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Geschäftsunterlagen konnten, wenn man sie zu lesen verstand, eine Fundgrube sein. «Es wäre interessant zu wissen, wie diese Dinge bei euch gehandhabt werden.» Ob ihm Jean-Claude das abnahm?
    «Viel zu kompliziert, da steige nicht einmal ich durch. Gute Nacht!»
    Jean-Claude schloss die Bürotür wieder. Das war eindeutig. Martin ging in sein Zimmer, setzte sich auf die Bettkante, öffnete die Flasche, roch am Korken - einwandfrei -, goss ein wenig ins Glas, probierte und öffnete die erste Kladde.
    Wie gut, dass Gaston die Aufzeichnungen in Sicherheit gebracht hatte. Weshalb hat er diese Maßnahme getroffen? Hat er geahnt, dass er in Gefahr war? Er begann zu lesen. Allmählich stellte sich das erhoffte Hochgefühl ein.
    Lückenlos hatte Gaston den Weg beschrieben, den der Wein während des Ausbaus nehmen musste. Es war die perfekte Anleitung - natürlich nur in organisatorischer und technischer Hinsicht. Den genauen Ablauf schrieb die Entwicklung des Weins vor, und auf die musste er reagieren. Auch die geschmackliche Bewertung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen waren Martins Verantwortung.
    Immer wieder blätterte er die Seiten durch, nirgends wurde der Haut-Bourton erwähnt. Erst beim dritten Mal entdeckte er ziemlich am Ende des letzten Tagebuches eine hingekritzelte Zeile: ‹18 H-B., A.B. - 18.8.› War das ein Hinweis? H-B. - das könnte Haut-Bourton bedeuten. Was aber war A.B.? Dahinter der 18. August. Der lag mehr als einen Monat zurück.
    Martin suchte weiter, bis ihm die Augen zufielen. Den Wecker brauchte er nicht zu stellen, die Trauben waren geerntet, der Wein blubberte vor sich hin, er durfte ausschlafen.
    Er löschte das Licht. Beim Einschlafen dachte er an Charlotte, die allmählich auftaute, und daran, dass er Petra vom Flugplatz abholen musste. Hoffentlich würde er in Bordeaux den Weg zum Kostümverleih wieder finden, wo er sich vor zwei Jahren schon einmal einen Smoking geliehen hatte. Morgen wollte Bichot die Einladungen schicken. Bichot? Alexandre Bichot! Hatte Gaston ihn mit A.B. gemeint?
    Zum ersten Mal seit langem schlief Martin wieder besser. Geweckt wurde er von der einzigen Fliege im Zimmer, die sich auf seinem Gesicht niederließ. Die Erinnerung an Bichot machte ihn schlagartig wach, und er griff nach Gastons Notizen. Nach fünf Minuten hatte er die Beschreibung des Haut-Bourton gefunden. Gestern hatte er sie übersehen, da Gaston dafür eine leere Seite zwischen anderen Aufzeichnungen benutzt hatte.
    Die Beschreibung des Weins deckte sich nahezu vollständig mit seinen Eindrücken. Sein Freund hatte wie immer mit der Farbe begonnen: «Tiefes, tintenfarbenes Rot, undurchsichtig. Fehlender Braunton für das Alter, entspricht nicht dem Jahrgang. Wärmegeprägt, Frucht scheint nur intensiv - Pflaume, schwarze Johannisbeere, künstlich, zu flach. Schokolade, Leder, Gummi? Evtl. Gärfehler. Barriqueton zu scharf - Nelke zu deutlich, leicht karamellisiert, nicht wirklich gealtert. Eichenspäne statt Barrique. Holz wird sich halten, Frucht zurückgehen. Tannin zu rau, entspricht nicht dem Médoc, Körper und Struktur schwach, Süße-Säure-Komponente stimmt halbwegs. Billig, ein Blender.»
    Perfekt. Das war es, was er an seinem Freund geschätzt hatte. Er konnte sich klarer ausdrücken als er selbst. Dieser Wein entsprach nicht dem, der jahrelang in seinem Keller gelegen hatte. Er musste erst vor kurzem abgefüllt worden sein. Ein Fehler, der durch lange Lagerung entstand, hätte sich anders gezeigt. Also konnte es sich bei dem zweiten Wein nur um eine Fälschung handeln.
    Ein gefälschter Second Cru? Unglaublich! Der Gedanke war ungeheuerlich. Das hatte es noch nie gegeben - oder es war zuvor nie bemerkt worden, dachte Martin und ließ sich in die Kissen sinken.
    Aber wenn Uhren, Handtaschen, Ersatzteile für Autos und Computer gefälscht wurden, wieso nicht auch ein Wein? Es war ein Produkt wie jedes andere. Ab und an wurden Weine falsch deklariert, Phantasiebezeichnungen erfunden und Etiketten verwendet, die denen von berühmten Châteaus ähnelten. Es war zu Gerichtsverfahren gekommen, die Beweislage war mehr als schwierig, und vor der finanziellen Gewalt von Billiganbietern, die einen Teil des europäischen Marktes beherrschten, wurde gekuscht. Wenn Grand Crus nach Jahrzehnten aufgefüllt und mit neuen Korken verschlossen wurden, verlangte die Vorschrift, dass dazu der Wein desselben Jahrgangs verwendet wurde. Es ging das Gerücht, dass auch bekannte Kellereien sich nicht daran

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