Tod in Bordeaux
andere Meinung in Bezug auf Geschmack oder Aroma, dann wurden die Frauen so lange mit Argumenten traktiert, bis sie des lieben Friedens willen schwiegen und sich dem Kauf einiger Kartons oder Kisten nicht mehr in den Weg stellten.
Die zwinkernde Mitarbeiterin rief die deutschen Gäste am Springbrunnen zusammen und stellte sich als Amelie vor. Sie erzählte die Geschichte des Châteaus, Anekdoten über ihre Besitzer und berichtete Wissenswertes über das lokale terroir. Fragen wurden gestellt, die Kenner outeten sich, es wurde geprahlt, wo man schon überall gekostet hatte, ein wenig name dropping gehörte eben dazu. Am unangenehmsten empfand Martin die Männer Ende fünfzig, bei denen ausgesuchte Weine ihre schwindende Virilität ersetzen sollten.
Durch das Tor der Kellerei betrat die Gruppe den dahinter liegenden Hof, Mademoiselle Amelie hielt einen Vortrag über Ernte, Verarbeitungsprozess, Gärung und die lange Reife. Hier auf Château Clairmont fand alles in Ausmaßen statt, die weit über das hinausgingen, was Martin in der Garage mit dem Pechant praktizierte. Danach führte Mme. Amelie sie durch die Anlage mit den rechnergesteuerten Gärtanks aus Edelstahl. Martin hielt sich auf Abstand, schaute in alle Ecken, drückte diskret auf jede Türklinke, ließ keinen Winkel unbeachtet, sodass schließlich die junge Dame das Zwinkern vergaß und ihn argwöhnisch im Auge behielt.
Als sie nach der Besichtigung des beeindruckenden Barriquekellers mit Hunderten von 240-Liter-Fässern wieder ans Tageslicht kamen, stand oben vor dem Treppenaufgang ein Lieferwagen, zwei Männer schoben einen schweren Rollwagen mit Kistenbrettern darauf zu.
«Aus dem Weg!», schrie einer der Männer auf Französisch, als ein Besucher ihm vor den Wagen lief. Dieser verstand nicht, was man von ihm wollte, wich zur falschen Seite aus, jemand zog ihn in die andere Richtung. Der Mann stürzte, die Arbeiter rissen den Rollwagen abrupt herum, um den Zusammenstoß zu vermeiden. Dabei fiel ein Paket Bretter herunter.
Alle stürzten besorgt auf das Opfer zu, Martin interessierte sich hingegen mehr für die Bretter, zumal sie die Aufschrift «Haut-Bourton» trugen. Er bückte sich, strich mit dem Finger darüber, sie roch frisch, die Buchstaben färbten sogar noch ein wenig ab. «1990» stand unter dem Wappen.
Schau an, dachte Martin. Garenne bringt einen neuen Jahrgang auf den Markt, so wie zuvor den 1989er. 1990 war auch ein ausgezeichnetes Jahr in Bordeaux gewesen. Garenne wusste, was er tat - oder waren es seine Mitarbeiter, die ihn betrogen? Martin nutzte die allgemeine Verwirrung und öffnete die Tür, aus der die Arbeiter gekommen waren. Hier war er richtig. Es roch nach Druckerschwärze und Kiefernholz, und im Raum stand eine Siebdruckmaschine, daneben Farbeimer und Lösungsmittel. Kaum hatte er einen Blick darauf geworfen, wurde er unsanft aus dem Raum gezogen.
«Foutez le camp! Foutez le camp!» Ein Arbeiter fuchtelte ihm mit dem Finger vor dem Gesicht herum und machte ihm unmissverständlich klar, dass Besucher hier nicht erwünscht waren. Martin bat artig um Verzeihung und schloss sich wieder seiner Gruppe an, in der allen Ernstes erwogen wurde, ob man den Besitzer des Château auf Schmerzensgeld verklagen sollte. Mit dem ironisch gemeinten Vorschlag einer Sammelklage machte Martin sich nicht beliebt, zwei der Herren fühlten sich bemüßigt, ihm vorzuhalten, wie ungezogen es sei, eine so ernste Angelegenheit ins Lächerliche zu ziehen.
Währenddessen ließ er den Lieferwagen nicht aus den Augen. Was hatte man mit der Ladung vor? Wo sollten die Kisten zusammengenagelt werden? Um das herauszufinden, müsste er dem Wagen folgen. Die Arbeiter luden weitere Bretter auf und rollten zuletzt die Druckmaschine, über die man eine Plane geworfen hatte, zum Lieferwagen. Ein Gabelstapler kam, um sie aufzuladen. Wurden hier Spuren beseitigt?
Mit den Worten: «Jetzt haben Sie Gelegenheit, diese wunderbaren Weine sehr günstig hier bei uns zu erwerben», dirigierte Mademoiselle Amelie ihre Schäfchen zurück in den Probierraum. Martin hatte den Eindruck, dass sie besonderes Augenmerk auf seine Anwesenheit legte.
Hier entdeckte Martin eine Kiste Haut-Bourton. Der Schriftzug bei diesem noch jungen 1996er war geprägt und eingefärbt - und nicht gedruckt, wie bei den Brettern im Hof. Damit war eigentlich alles klar. Jetzt musste er nur dem Lieferwagen folgen. Vom Springbrunnen aus konnte er durch das Tor der Gärhalle auf den Hof sehen. Der
Weitere Kostenlose Bücher