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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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drei-
    fach verzweigt: Es entstanden ein schlesischer, ein bayri-
    scher und ein niederländischer Zweig. Doch im acht-
    zehnten Jahrhundert gab es in den beiden letzten keine
    Nachfahren mehr. Auch der schlesische Zweig entwickel-
    te sich nicht üppig: In der Familie sind fast nur Knaben
    zur Welt gekommen, und zwar als Einzelkinder. Doch
    die Rache der Yeziden gilt – wie ich eben erläuterte – nur 306
    in dem Falle als vollzogen, wenn sie an einem Geschwi-
    sterpaar verübt wird. In der ganzen Geschichte der Fami-
    lie tauchen jedoch nur fünf solcher Paare auf, in zweien
    der Fälle starb eines der Kinder bereits im Säuglingsalter, zwei andere Knaben fanden unter nicht bekannten Um-ständen den Tod. Und im letzten Fall, der Tante von Oli-
    vier von der Malten, die Schwester seines Vaters Ruppert,
    war es äußerst schwierig, den Racheakt auszuführen, da
    die Frau ein streng von der Außenwelt abgeschiedenes
    Leben in einem Kloster führte.
    Verehrtester, ich habe erläutert, aus welchen Gründen
    der Racheakt bisher noch nicht begangen werden konnte.
    Aber es ist immer noch unklar, warum der heilige Alte in
    seiner Erleuchtung feierlich verkündet hat, der Moment
    der Rache sei gekommen: Denn der einzige gegenwärtig
    noch lebende männliche Nachfahre von Godfryd von der
    Malten, nämlich Olivier, war zu dem Zeitpunkt der Pro-
    phezeiung des Eremiten einzig Vater der unglücklichen
    Marietta. Somit scheint ihre schreckliche Ermordung ein
    tragischer Irrtum. Und es ist durchaus wahrscheinlich,
    dass dieser Irrtum auf Grund der Wahnvorstellung eines
    alten Schamanen geschah, die ihrerseits vermutlich eine
    Folge des dort verbreiteten Genusses von Haschisch sein
    musste.
    Ich komme zum Ende meines allzu langen Briefes und
    bitte Sie um Verständnis, dass ich Maass’ Übersetzung
    der letzten beiden Prophezeiungen Friedländers noch
    nicht überprüfen konnte. Das ist einerseits auf meinen
    Zeitmangel zurückzuführen – ich habe sehr lange mit der
    Erforschung der yezidischen Riten zugebracht. Anderer-
    307
    seits nötigen mich nun komplizierte Familienangelegen-
    heiten unerwartet zur Abreise. Ich verbleibe mit vorzügli-
    cher Hochachtung, Doktor Leo Hartner.«
    Mock und Anwaldt sahen sich wortlos an. Sie wussten
    beide, dass die Ankündigung des heiligen Alten keines-
    wegs das Gefasel eines wahnsinnigen Schamanen im
    Drogenrausch gewesen war. Sie verließen die Kathedrale
    und stiegen noch immer schweigend in den Adler, den
    sie im Schatten eines der ausladenden Kastanienbäume,
    die in großer Zahl auf dem Domplatz wuchsen, geparkt hatten.
    »Mach dir keine Sorgen, mein Sohn.« Mock betrachte-
    te Anwaldt voller Mitleid, das Wort »Sohn« hatte er be-
    wusst verwendet. Er erinnerte sich daran, wie der Baron
    sich an das Fenster seines Zugabteils gehängt und gerufen
    hatte: »Er ist mein Sohn!«
    »Ich werde dich jetzt zu mir nach Hause bringen. Es
    kann sein, dass es in deiner Wohnung für dich nicht un-
    gefährlich ist. Smolorz wird dir deine Sachen bringen. Du
    wirst bei mir bleiben, dich gut ausschlafen, nicht ans Te-
    lefon gehen und niemandem die Tür öffnen. Und heute
    Abend werde ich dich irgendwohin bringen, wo du dei-
    nen Vater und sämtliches Ungeziefer vergessen kannst.«
    XV
    Breslau, Mittwoch, 18. Juli 1934.
    Acht Uhr abends

    Die Mittwochsvorstellung bei Madame le Goef war heute
    ganz im antiken Stil gehalten. Als es Abend geworden
    war, schlug ein nackter Sklave, dessen ganzer Körper von
    mahagonifarbener Schminke glänzte, einen riesigen
    Gong, der Vorhang hob sich, und den Zuschauern bot
    sich ein stilechtes Bühnenbild: Die Frontseite eines römi-
    schen Tempels, davor nackte, tanzende Körper in einem
    Regen von Rosenblättern, die von der Decke herab-
    schwebten. Es waren dies Bacchanalien, während derer
    die Tänzerinnen und Tänzer wirkliche sexuelle Handlun-
    gen nur simulierten. Nach etwa zwanzig Minuten folgte
    eine ebenso lange Pause, in der sich einige der Gäste in
    diskrete Nebenzimmer begaben, andere die Zeit nutzten,
    um sich mit delikaten Speisen und Getränken zu stärken.
    Dann schlug der Sklave wieder den Gong, und auf der
    Bühne erschienen einige Römerinnen und Römer. Sie
    waren in wehende Tuniken gekleidet, die sie allerdings
    bald abstreiften, es regnete weiter Rosenblätter, im Saal
    breitete sich Schwüle aus: Bei diesem Teil des Bacchanals
    wurde nichts mehr simuliert. Doch nach kaum einer hal-
    309
    ben Stunde fand auch dieses Vergnügen ein Ende,

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