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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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Er dachte an Har-
    denburgs Prinzip. Zwölf Signale muss man abwarten. Er
    ging hinüber in die Küche und holte aus der Speisekam-
    mer einige Landjäger – das Kindermädchen hatte heute
    frei – biss sich ein großes Stück ab und nahm dazu einen
    Löffel geriebenen scharfen Kren direkt aus dem Glas. Mit
    vollen Backen kauend traten ihm die Tränen in die Au-
    gen. Er dachte an den jungen Berliner Polizisten, der in
    den Folterkammern der Gestapo so übel zugerichtet wor-
    den war und der auf eine Drohung hin diese vor Hitze
    und Lasterhaftigkeit brodelnde Stadt verlassen hatte. Das
    Telefon klingelte wieder. (Wo könnte Anwaldt jetzt sein?) Ein zweites Mal. (Dieser verfluchte Forstner! Ich mache ihn fertig!) Ein drittes Mal. (Was für ein nervenaufreiben-der Tag, und dabei ist eigentlich doch nichts geschehen.) Viermal. (Wahrscheinlich gerade deswegen.) Fünfmal.
    (Schade um Anwaldt. Es war gut, jemanden wie ihn an der Seite zu haben.) Sechs. (Kann man nichts machen, auch sein Kopf steckt in einer Schlinge …) Sieben. (Ich muss zu 298
    den Mädchen. Dann wird es mir besser gehen.) Es klingelte bereits zum achten Mal. (Ich kann schließlich nicht mit vollem Mund den Hörer abheben!) Zum neunten Mal. (Ja.
    Ich werde Madame anrufen.) Zehnmal. (Vielleicht ist es von Hardenburg?) Ein elftes Mal ertönte die Klingel.
    Mock stürzte ins Vorzimmer und nahm den Hörer ab,
    nachdem es ein zwölftes Mal geläutet hatte. Ein betrun-
    kenes Lallen drang an sein Ohr. Ungeduldig unterbrach
    er den Schwall unverständlicher Entschuldigungen.
    »Anwaldt! Wo bist du?«
    »Am Bahnhof.«
    »Warte auf mich, am Gleis eins! Ich hole dich ab, hast
    du gehört? An welchem Gleis sollst du warten?«
    »An … G … Gleis … eins …«

    Anwaldt war weder an Gleis eins noch auf irgendeinem
    anderen Bahnsteig zu finden. Mock ließ sich von seiner
    Intuition leiten und erkundigte sich bei der Bahnschutz-
    stelle. Man hatte Anwaldt aufgegriffen und ihn auf die
    Wachstube gebracht, wo er laut schnarchend seinen
    Rausch ausschlief. Mock zeigte dem verdutzten Auf-
    sichtsbeamten seinen Ausweis und bat höflich um Unter-
    stützung. Der Mann war sofort zu Diensten. Er warf sei-
    nen Leuten ein paar Worte hin, woraufhin sie Anwaldt
    unter den Armen packten, ihn zu Mocks Auto schleppten
    und ihn hineinverfrachteten. Nachdem sich Mock bei al-
    len bedankt hatte, fuhr er los. Eine Viertelstunde später
    trafen sie am Rehdingerplatz ein. Die Bänke auf dem Ra-
    sen waren alle besetzt, die Menschen erholten sich von
    der Tageshitze. Verwundert sahen sie dem stämmigen
    299
    Mann mit dem beträchtlichen Bauch zu, wie er ächzend
    und stöhnend den schlaffen Körper Anwaldts aus dem
    Fond seines Adler zog.
    »Na, der hat genug für heute!«, lachte ein Halbwüchsi-
    ger im Vorbeigehen.
    Mock zog dem Betrunkenen das Jackett aus, an dem
    Erbrochenes klebte, rollte es zusammen und warf es in
    den Wagen. Dann legte er sich Anwaldts linken Arm um
    den verschwitzten Nacken, packte ihn mit seiner Rechten
    um den Oberkörper und schleifte den willenlosen Körper
    unter dem Gelächter der Umstehenden zum Haustor.
    Wie es der Teufel wollte, war der Hausmeister nirgends
    aufzutreiben. »Jeder Fremde kann ins Haus, und dieser
    Idiot sitzt sicher wieder in der Wirtschaft und lässt sich mit Bier voll laufen …«, murmelte Mock zornig. Mühsam, Stufe für Stufe, zog er sich und Anwaldt die Treppe
    hinauf. Seine Wange rieb am schmutzigen, feuchten
    Hemd Anwaldts, jedes Mal, wenn ihn eine Wolke des
    säuerlichen Atems streifte, fuhr er zurück, und auf jedem
    Treppenabsatz blieb er fluchend stehen, ohne sich um die
    Nachbarn zu kümmern. Einer von ihnen, Rechtsanwalt
    Doktor Fritz Patschkowsky, schickte sich gerade an, mit
    seinem Hund nach draußen zu gehen. Er blieb verwun-
    dert stehen, und sein großer Spitz zerrte heftig an der
    Leine. Mock warf ihm einen abweisenden Blick zu und
    antwortete nicht auf den herablassenden Gruß. Endlich
    standen sie vor Mocks Wohnungstür. Mock lehnte An-
    waldt an die Wand, wo er ihn mit einer Hand festhalten
    musste, um mit der anderen das störrische Schloss zu
    öffnen. Schließlich hatten sie es geschafft: Anwaldt lag auf 300
    dem Boden des Vorzimmers, Mock hatte sich schwer at-
    mend auf dem Mahagonisitz der Toilette niedergelassen.
    Nach einer Verschnaufpause schloss er die Wohnungstür
    und zündete sich eine Zigarette an. Dann packte er An-
    waldt am Kragen und schleifte ihn in den Salon hinüber.
    Mit letzter Kraft

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