Tod in Breslau
kön-
nen. Aber sollen sie ruhig lachen …«
Sie schwiegen. Von Hardenburg konzentrierte sich auf
das Bühnengeschehen, während Mock überlegte, ob die-
ses frivole Ambiente wohl die richtige Gelegenheit böte,
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um jene wichtige, ja für ihn lebenswichtige Angelegenheit
anzusprechen. Nach einigem Zögern setzte er an:
»Apropos Klaus … ich hätte da eine Bitte an Sie …«
»Herr Eberhard«, von Hardenburg wurde immer ver-
traulicher. »Ich habe ja noch nicht einmal Ihre erste Bitte bezüglich dieses Türken erfüllt, und schon haben Sie eine
zweite … Aber Scherz beiseite. Bitte, sprechen Sie!«
»Herr Baron«, Mock schlug, im Gegensatz zu seinem
Gesprächspartner, einen offiziellen Ton an. »Ich wäre an
einer Arbeit bei der Abwehr interessiert.«
»Ach so? Weshalb denn das?« Der Kerzenschein und
die diskret gedämpfte Tischbeleuchtung spiegelten sich in
von Hardenburgs Monokel.
»Ganz einfach deshalb, weil meine Abteilung immer
mehr von diesen Kanaillen aus dem Lager von Kraus
durchsetzt wird.« Mock sparte sich umständliche Vor-
reden. »Schon jetzt behandelt er mich von oben herab,
und es wird nicht mehr lange dauern, und er beginnt,
mir dienstliche Anweisungen zu erteilen. Ich werde
langsam zum Schatten eines Chefs – ich bin auf dem be-
sten Weg, zu einem Strohmann, zu einer Marionette
dieser ungehobelten Gestapo-Bande von Banditen und
Barbaren zu werden. Herr Baron, ich komme aus einer
armen Waldenburger Familie, die sich mit ihrem Ge-
werbe schlecht und recht über Wasser gehalten hat.
Doch nichtsdestoweniger oder gerade deshalb möchte
ich, um mit Horaz zu sprechen, integer vitae scelerisque purus bleiben.«
»Aber Herr Eberhard, Sie sind trotz Ihrer Herkunft im
Geiste ein echter Aristokrat. Aber Sie sind sich wohl im
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Klaren, dass auch die Arbeit bei uns keine leichte Sache
ist, wenn man sich Ihrer Maxime verpflichtet fühlt?«
»Lieber Herr Baron, ich habe meine Unschuld schon
vor langer Zeit eingebüßt – und bei der Polizei bin ich
schon seit 1904, mit einer Unterbrechung während des
Krieges, als ich in Russland gekämpft habe. Ich habe eini-
ges gesehen, aber Sie werden mit mir übereinstimmen,
wenn ich Ihnen sage, dass es zwischen einem staatlichen
Ordnungshüter, der nicht immer nur konventionelle Me-
thoden anwendet, und einem Henkersknecht einen Un-
terschied gibt …«
Von Hardenburg zeigte sich amüsiert, und sein Mono-
kel blitzte auf, als er sagte: »Sie sollten allerdings wissen, dass ich Ihnen keine Führungsposition anbieten könnte.«
»Ich möchte Ihnen mit einem Satz Napoleons antwor-
ten: Es ist besser, der Zweite, der Fünfte oder gar der
Zehnte in Paris zu sein, als der Erste in Lyon.«
»Ich verstehe, aber ich kann Ihnen zum jetzigen Zeit-
punkt nichts versprechen.« Von Hardenburg studierte
die Speisekarte. »Es hängt nicht nur von mir ab. Ah, das
nehme ich: Rippchen mit Pilzsoße. Jetzt aber noch zu et-
was anderem: Ich habe einige Informationen über Kemal
Erkin für Sie. Er ist Kurde. Er stammt aus einer wohlha-
benden Kaufmannsfamilie. 1913 hat er eine elitäre Kadet-
tenschule in Istanbul abgeschlossen. Ein guter Schüler,
und am eifrigsten war er beim Erlernen der deutschen
Sprache. Deutsch war schon damals Pflichtfach in jeder
türkischen Handelsschule und bei der Militärausbildung.
Während des Krieges war er auf dem Balkan und in Ar-
menien im Einsatz. Von dort rührt auch sein schlimmer
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Ruf. Er soll ein brutaler Sadist während des Massakers an
den Armeniern gewesen sein. Mein türkischer Informant
wollte bei seinem Bericht in diesem Punkt nicht weiter
ins Detail gehen, da das weder im Leben Erkins noch in
der türkischen Geschichte ein allzu interessantes Kapitel
sei. 1921 wurde Erkin als junger Offizier des türkischen
Geheimdienstes für zwei Jahre zu ergänzenden Studien
nach Berlin geschickt und hat dort zahlreiche Freund-
schaften geschlossen. Nach seiner Rückkehr ist er bei der
türkischen politischen Polizei immer höher aufgestiegen.
Dann, im Jahre 1924, kurz bevor er das Amt des Geheim-
polizeichefs in Smyrna antreten sollte, hat er plötzlich um seine Versetzung nach Berlin gebeten. Er hatte erfahren,
dass am türkischen Konsulat in Berlin die Stelle des stellvertretenden Militärberaters frei geworden war. Es war
wohl so, dass Erkin, ähnlich wie Sie, lieber der Zweite in Paris als der Erste in Lyon sein wollte. Man ist seiner Bitte nachgekommen, und daher lebt
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