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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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weit geöffnete Tür.
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    Mock begnügte sich damit, seinen Dienstausweis zu
    zeigen – jedes Wort wäre in dem ohrenbetäubenden Ge-
    kläff der Hunde untergegangen. Winkler hatte Mühe, die
    Tiere zu beruhigen, er nahm sie an die Leine und bat die
    ungelegenen Gäste in den Salon. Dort zündeten sich bei-
    de, als sei es vereinbart gewesen, zuerst einmal eine Zigarette an, und sahen sich ein wenig um: Der Salon erinner-
    te an ein Büro. Winkler selbst, etwa fünfzig Jahre alt,
    klein und rothaarig, war das Musterexemplar eines alten
    Junggesellen und Pedanten. Auf seiner Kredenz standen
    anstelle von Gläsern oder Karaffen leinengebundene
    Ordner, auf deren Rücken er säuberlich die Namen seiner
    Patienten geschrieben hatte. Anwaldt ging der Gedanke
    durch den Kopf, dass der Arzt überzeugt sein müsse, der
    ganze moderne Häuserblock bräche zusammen, wenn
    nur einer der Ordner schief stünde. Mock brach das
    Schweigen.
    »Halten Sie sich diese entzückenden Tierchen zu Ihrer
    Verteidigung?« Er wies lächelnd auf die geduckt am Bo-
    den liegenden Doggen. Winkler band sie an einem
    schweren Eichentisch fest, von wo sie die Eindringlinge
    misstrauisch im Auge behielten.
    »Ja«, war die knappe Antwort des Arztes. Er zog seinen
    Bademantel fester um sich. »Was führt Sie an diesem
    Sonntagmorgen zu mir?«
    Mock ignorierte die Frage. Er lächelte verbindlich.
    »Zur Verteidigung … ja, natürlich … aber vor wem
    denn nur? Vielleicht vor den Herren, die Ihnen die Fin-
    ger gebrochen haben?«
    Winkler wurde verlegen, mit der gesunden Hand griff
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    er nach einer Zigarette, Anwaldt gab ihm Feuer. Die gie-
    rige Art, wie er inhalierte, ließ darauf schließen, dass er ein starker Raucher war.
    »Was wollen Sie von mir?«
    »Was wollen Sie von mir? Was führt Sie zu mir?«
    Mock äffte ihn nach. Er stellte sich in sicherer Entfernung von den beiden Doggen in Positur und brüllte:
    »Wenn hier einer Fragen stellt, dann bin ich das,
    Weinsberg!!!«
    Der Doktor konnte die Hunde kaum beschwichtigen,
    die sich knurrend auf den Polizisten stürzen wollten.
    Mock wartete einen Moment und fuhr dann ruhiger fort:
    »Ich werde keine Fragen stellen, Weinsberg, sondern
    Ihnen lediglich unser Anliegen nennen. Ich bitte Sie, uns
    all Ihre Notizen und Materialien, die den Fall Isidor
    Friedländer betreffen, zur Verfügung zu stellen.«
    Der Doktor begann trotz der drückenden Hitze in dem
    sonnendurchfluteten Raum zu zittern.
    »Ich habe sie nicht mehr. Ich habe sie alle Haupt-
    sturmführer Walter Piontek überlassen.«
    Mock sah ihn durchdringend an. Es dauerte nicht lange,
    und er wusste, dass Weinsberg log. Dessen Blick wanderte
    etwas zu oft zu seiner bandagierten Hand. Entweder dach-
    te er ›Werden die mir jetzt etwa auch die Finger brechen?‹
    oder ›Mein Gott, und was wäre, wenn die Leute von der
    Gestapo wiederkämen und die Materialien von mir ver-
    langten?‹. Mock hielt die zweite Möglichkeit für wahr-
    scheinlicher. Er legte das Päckchen aus der Druckerei auf
    den Tisch und bedeutete dem Arzt, es zu öffnen. Weins-
    berg riss es auf und begann, die Seiten der noch nicht ge-
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    hefteten Broschüre durchzublättern. Mit steifen Fingern
    wandte er jede einzeln um. Dann wurde er bleich.
    »Ja, Herr Winkler, so ist es: Sie sind auf der Liste. Das ist einstweilen nur ein Probedruck. Ich könnte mit dem Her-ausgeber der Broschüre Kontakt aufnehmen und dafür
    sorgen, dass sowohl Ihr neuer als auch Ihr echter Name
    daraus verschwinden. Soll ich das tun, Weinsberg?«

    Im Auto war die Hitze noch größer als draußen, sicher 35
    Grad. Anwaldt warf sofort das Jackett und die dicke, mit
    grünem Papier beklebte Pappschachtel auf den Rücksitz.
    Dann stieg er ein und öffnete die Schachtel. Darin befan-
    den sich Abzüge von Notizen, Artikeln und eine primitiv
    gepresste Schallplatte. Die Schachtel trug die Aufschrift
    »Diagnose und Verlauf der Epilepsie I. Friedländers«.
    Mock wischte sich den Schweiß von der Stirn und kam
    der Frage Anwaldts zuvor.
    »Diese Liste, die Weinsberg so eine Heidenangst
    macht, verzeichnet all die Ärzte, Pfleger, Sanitätsgehilfen, Hebammen und anderen Diener des Hippokrates, die jü-
    discher Abstammung sind. Sie wird dieser Tage erschei-
    nen.«
    Anwaldt besah sich eine der letzten Eintragungen: Dr.
    Hermann Winkler, Gablitzstraße 158.
    »Und werden Sie den Namen wirklich daraus tilgen
    können?«
    »Ich werde nicht einmal den Versuch unternehmen.«
    Mock verfolgte mit den

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