Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
Vom Netzwerk:
Republik, und jetzt war er bei der Gesta-
    po. Seine großen beruflichen Erfolge hatte er nicht zu-
    letzt seinem Vertrauen erweckenden Äußeren zu ver-
    danken: schlanke Figur, schmales Bärtchen, das schütte-
    re Haar stets sorgfältig gekämmt und honigfarbene,
    scheinbar immer gütig lächelnde Augen. Niemand ver-
    mutete beim Anblick dieses sympathischen älteren
    Herrn, dass es sich um einen der gefragtesten Geheim-
    dienstler handelte.
    Jedenfalls wären weder Anwaldt noch Maass auf die-
    sen Gedanken gekommen, sie beachteten den gepflegten
    116
    Herrn, der auf der Nachbarbank saß, nicht einmal. Be-
    sonders Maass schien sich nichts aus den Leuten zu ma-
    chen, die in ihrer Nähe spazieren gingen. Sein lautes
    Schwadronieren ging Anwaldt nicht nur wegen der
    schrillen Stimme auf die Nerven, sondern vor allem we-
    gen seiner Ungehemmtheit. Der größte Teil der Ausfüh-
    rungen von Maass befasste sich mit dem weiblichen
    Körper und den diversen Lüsten, die dieser verheißen
    konnte.
    »Oh, sehen Sie nur, lieber Herbert, nicht wahr, ich darf
    Sie so nennen?« Maass schnalzte mit der Zunge beim
    Anblick einer jungen Blondine, die in Begleitung einer
    älteren Frau vorbeipromenierte. »Wie reizend sich das
    dünne Kleidchen an die Schenkel schmiegt. Sicherlich
    trägt sie keinen Unterrock …«
    Anwaldt beschloss, sich über die Satyrpose seines Ge-
    sprächspartners zu amüsieren. Er hängte sich bei Maass
    ein, und so marschierten sie hinauf zur Liebichshöhe, die
    von dem Turm mit der geflügelten Siegesgöttin auf der
    Spitze überragt wurde. Ein Springbrunnen brachte ein
    wenig Erfrischung.
    Auf den Terrassen im barocken Stil herrschte großes
    Gedränge. Der kleine Alte folgte dicht hinter ihnen, er
    hielt eine Zigarettenspitze aus Bernstein in der Hand.
    »Mein Lieber«, Anwaldt erlaubte sich seinerseits eine
    gewisse Vertraulichkeit. »Stimmen Sie zu, dass die Frauen
    im Sommer lästig werden können?«
    »Woher haben Sie das?«
    »Von Hesiod. Ich würde gerne von einem Spezialisten
    wie Ihnen diese zweitausendsiebenhundert Jahre alte An-
    117
    sicht bestätigt sehen, dass im Sommer machlotatai de gy-naikes, aphaurotatoi de toi andres. * «
    Sein ironischer Unterton war Maass nicht aufgefallen.
    Viel mehr interessierte ihn die Frage, woher ein einfacher Polizeiassistent Griechisch konnte.
    »Ich hatte am Gymnasium einen guten Lehrer, das ist
    alles«, erklärte Anwaldt.
    Nach diesem kurzen Intermezzo kehrte Maass wieder
    zu seinem Lieblingsthema zurück.
    »Weil Sie vom Gymnasium sprechen … Wissen Sie,
    lieber Herbert, dass die Mädchen, die heutzutage aufs
    Gymnasium gehen, bereits mit allen Wassern gewaschen
    sind? Erst vor kurzem habe ich mit einer in Königsberg
    einen wahrhaft rauschhaften Nachmittag verbracht. Si-
    cher haben Sie das Kamasutra gelesen, aber erinnern Sie sich an die Technik des Mango-Aussaugens? Stellen Sie
    sich vor, dieses allem Anschein nach unschuldige Mäd-
    chen hat es fertig gebracht, mein Schlachtross in einem
    Moment zum Gehorsam zu zwingen, als es schon fast mit
    mir durchgehen wollte! Na, da hat es sich gelohnt, ihr
    Privatstunden in Sanskrit zu geben.«
    Anwaldt war bei dieser Schilderung etwas verlegen ge-
    worden. Er zog das Jackett aus und öffnete den obersten
    Hemdknopf. Seine Gedanken waren ganz von dem

    * »dann sind die Weiber am geilsten, die Männer aber am
    schlappsten« Hesiod: Werke und Tage, Vers 585, übs. von Otto Schönberger, Stuttgart 1996.
    oder: »… und die Weiber sind geil, die Männer aber sind müde.«
    Übs. von Albert von Schirnding, München, Zürich 1991, Vers 585
    118
    Wunsch nach einem frisch gezapften Bier beherrscht, er
    dachte an das sanfte Prickeln nach dem ersten Schluck,
    an den leichten Schwindel nach dem zweiten, an das an-
    genehme Gefühl des Fröstelns auf der Zunge nach dem
    dritten, dann an die klaren Gedanken nach dem nächsten
    Schluck und an die Euphorie, wenn man das Glas befrie-
    digt absetzte … Nach einem kurzen Seitenblick auf Maass
    unterbrach er dessen Schwärmereien abrupt und hielt
    ihm einen großen Umschlag hin:
    »Doktor Maass, ich bitte Sie: Hören Sie sich diese Plat-
    te an! Sie können das Grammofon aus dem Polizeilabor
    ausborgen. Sollten Sie Probleme mit der Übersetzung ha-
    ben, geben Sie bitte Bescheid. Prof. Andrae und ein ge-
    wisser Hermann Winkler können Ihnen womöglich hel-
    fen. Bei den Aufnahmen handelt es sich höchstwahr-
    scheinlich um Texte in hebräischer Sprache.«
    »Ich weiß

Weitere Kostenlose Bücher