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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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zum stellvertretenden Chef der
    Kriminalabteilung hatte seine Sensibilität und Wachsam-
    keit beeinträchtigt. Als in der »Nacht der langen Messer«
    Heines, Piontek und die ganze Führung der Breslauer SA
    abgesetzt wurden, blieb Forstner – formell ein Mitarbei-
    ter der Kriminalabteilung – zwar verschont, hatte aber
    den Boden unter den Füßen verloren. Er war nun voll-
    kommen abhängig von Mock. Ein winziger Hinweis an
    Kraus über Forstners Kontakte hätte genügt, ihn von der
    Bildfläche verschwinden zu lassen – gemeinsam mit all
    denjenigen, die Forstner einstweilen noch deckten. Als
    Homosexueller musste er sogar damit rechnen, von Kraus
    mit doppelter Grausamkeit behandelt zu werden. Denn
    dieser hatte schon am Tag seines Amtsantritts verkündet,
    falls er in seiner Abteilung einem Schwulen auf die Schliche käme, werde der dasselbe Ende nehmen wie Heines. Selbst
    wenn er diese Drohung im Falle Forstners, der einer ande-
    ren Polizeiabteilung angehörte, nicht wahr machen könnte,
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    so würde er ihm mit Sicherheit in Zukunft jede Unter-
    stützung versagen. Und sicherlich wartete Mock nur auf
    diesen Moment: Dann wäre Forstner für ihn ein gefun-
    denes Fressen, auf das er sich mit dem größten Vergnü-
    gen stürzen würde.
    Forstner versuchte, seine Nerven mit einem vierten,
    diesmal kleineren Schnaps zu beruhigen. Er vermischte
    den Rest Kren mit dem ausgelaufenen Fett seines Würst-
    chens und strich die Mischung auf ein Brötchen. Er
    schluckte und verzog das Gesicht. Ihm war klar, dass es
    Mock war, der an einem Ende des Strickes um seinen
    Hals zog, und nicht Kraus. Schließlich fasste er einen
    Entschluss: Er würde die Zusammenarbeit mit der Gesta-
    po einstellen, solange Anwaldts Auftrag dauerte. Sein
    Schweigen würde er vor Kraus mit der außerordentlichen
    Geheimhaltung bei der Fahndung begründen. So wäre
    sein Sturz nur mehr wahrscheinlich, aber nicht gewiss.
    Wenn er es sich aber mit Mock verdarb, indem er die
    Mitarbeit verweigerte, dann wäre die Katastrophe un-
    ausweichlich.
    Nachdem Forstner auf diese Art alle Wahrscheinlich-
    keit und Wahrheit sortiert hatte, atmete er erleichtert auf.
    Er schrieb in sein Notizbuch die formlose Anweisung
    Mocks: »ein detailliertes Dossier über die Dienerschaft
    des Baron Olivier von der Malten anlegen«. Dann hob er
    das sechste Glas, und trank es mit einem Zug leer.

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    Breslau. 8. Juli 1934.
    Viertel nach drei Uhr nachmittags

    Anwaldt saß in der Straßenbahnlinie 18 und betrachtete
    abwesend die Pfeiler der Hängebrücke, über die er gerade
    fuhr. Der Wagen rumpelte laut, rechter Hand zogen rote
    Backsteinbauten und eine Kirche vorbei, die sich halb
    hinter alten Kastanienbäumen verbarg, links standen so-
    lide Bürgerhäuser. Die Bahn hielt auf einem sehr belebten
    Platz. Anwaldt zählte die Stationen, an der nächsten
    musste er aussteigen. Es ging rasch weiter, doch für An-
    waldt nicht schnell genug: Er betete zum Himmel, dass er
    zügig sein Ziel erreichte. Der Grund für sein Stoßgebet
    war eine wild gewordene Wespe, die immerzu um seinen
    Kopf kreiste. Zunächst hatte er vergeblich versucht, Ruhe
    zu bewahren, hatte lediglich seinen Kopf mal nach rechts
    gedreht und mal nach links. Diese Bewegungen schienen
    das Insekt jedoch eher anzuziehen, besonders hatte es
    Gefallen an seiner Nase gefunden. (Ich erinnere mich
    noch an den Berliner Kolonialwarenladen, das klebrige
    Glas mit Kirschkompott, die rasenden Wespen, die wie
    verrückt um mich herumflogen und auf mich einstachen,
    das Gelächter des Verkäufers, den Gestank der Zwiebel-
    schalen, die man mir auf die Stiche legte.) Anwaldt verlor die Beherrschung und begann mit den Armen um sich zu
    schlagen, bis er die Wespe getroffen hatte. Er hörte, wie
    sie auf den Boden fiel, und wollte sie gerade mit einem
    Tritt zerquetschen, als die Trambahn plötzlich scharf
    bremsen musste – ein Polizist hatte im letzten Moment
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    eine korpulente Dame von den Gleisen wegziehen kön-
    nen. Die Wespe hatte sich erholt und setzte mit wüten-
    dem Summen erneut zum Angriff an. Sie landete auf
    Anwaldts Hand, aber anstatt eines Stiches spürte Anwaldt
    den festen Schlag einer zusammengerollten Zeitung –
    und das Knirschen des getroffenen Insekts. Er blickte
    dankbar zu seinem Retter auf, einem eher klein gewach-
    senen, sympathischen älteren Herrn, der das lästige Tier
    nun mit seinem Schuh zertrat. Anwaldt bedankte sich
    höflich (Irgendwie kommt mir der bekannt vor …)

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