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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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Tiere.
    Zwei Skorpione, die er zunächst nicht bemerkt hat, tan-
    zen auf Anwaldts Bauch.
    Er schrie im Schlaf auf und schlug um sich. Hinter
    dem geschlossenen Fenster stand der tiefrote Mond. An-
    waldt taumelte hinüber und öffnete die Flügel sperran-
    gelweit. Dann warf er ein Leintuch auf den Teppich und
    legte sich schweißüberströmt auf das Lager.
    Die Breslauer Nacht war erbarmungslos.
    V
    Breslau, Montag, 9. Juli 1934.
    Neun Uhr früh

    Gegen Morgen kühlte es ein wenig ab. Anwaldt ging in
    die Küche und inspizierte sie genau: keine Spur von Ka-
    kerlaken. Er wusste, dass sie sich tagsüber in alle mögli-
    chen Spalten, in Wandritzen und unter Fußbodenleisten
    zurückziehen. Er trank eine Flasche lauwarmer Limona-
    de, und ohne sich darum zu kümmern, wie sehr er dabei
    schwitzte, verrichtete er rasch seine morgendlichen Tä-
    tigkeiten. Er fuhr sich ein paar Mal mit dem Rasiermesser
    über die harten Bartstoppeln, goss sich eine Kanne kalten
    Wassers über den Kopf, zog frische Wäsche und ein sau-
    beres Hemd an, sank in den alten Sessel und setzte sei-
    nem Magen mit einer Dosis Nikotin zu. Vor seiner Tür
    lagen zwei Briefe. Als er Mocks Botschaft las, überfiel ihn eine unbestimmte Traurigkeit. Er verbrannte den Brief
    im Aschenbecher. Erfreut war er über die Nachricht von
    Maass, der ihm trocken mitteilte, er habe die Aufnahme
    von Friedländers Prophezeiungen übersetzt und erwarte
    Anwaldt um zehn Uhr in seiner Wohnung in der Tauent-
    zienstr. 14. Anwaldt studierte den Breslauer Stadtplan,
    um die Adresse zu lokalisieren, und dann verbrannte er
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    auch diesen Brief. Er fühlte eine enorme Energie in sich
    aufsteigen und erledigte rasch alles, was noch zu tun war: Er leerte den Teller mit dem schmierigen Abendessen ins
    Klosett, das sich auf dem Gang befand, und brachte das
    Geschirr zurück ins Restaurant. Dort nahm er ein leichtes
    Frühstück zu sich und setzte sich dann hinter das Steuer
    des schwarzen, glänzenden Adler, den Mocks Chauffeur
    frühmorgens vor seinem Haus abgestellt hatte. Sobald er
    mit dem Fahrzeug den schattigen Parkplatz verließ,
    strömte wieder eine Hitzewelle zum Fenster herein. Der
    Himmel war weiß, die Sonne konnte sich nur mit Mühe
    durch die zähe Dunstglocke über Breslau hindurchkämp-
    fen. Um sich nicht zu verirren, fuhr Anwaldt die Strecke,
    die er sich mithilfe des Stadtplans zurechtgelegt hatte: zuerst die Gräbschener Straße, am Sonnenplatz nach links
    in die kleine Telegrafstraße, vorbei am Telegrafenamt
    und dem klassizistischen Museum der schönen Künste.
    Schließlich parkte er in der Agnesstraße im Schatten der
    Synagoge.
    Im Gebäude der Tauentzienstraße 14 war auch die
    »Allgemeine Deutsche Credit-Anstalt« untergebracht.
    Den Teil des Hauses, in dem sich die Wohnungen befan-
    den, erreichte man durch den Hof. Der Portier wies dem
    Besucher höflich den Weg zur Wohnung des neuen Mie-
    ters Doktor Maass. Anwaldt, bereits durch die Schwüle
    gereizt, war fast verärgert, als er sich wenig später in dem geräumigen, komfortablen Appartement mit Bad befand,
    das der Baron für Maass gemietet hatte. Er war zwar an
    Unbequemlichkeiten gewöhnt, doch nichtsdestoweniger
    irritierte es ihn, wenn er diese vornehme Wohnung mit
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    dem kakerlakenverseuchten Loch ohne Toilette verglich,
    in dem er zurzeit wohnte.
    Maass machte sich nicht die Mühe, Freude über den
    Besucher zu heucheln. Er ließ ihn hinter dem Schreib-
    tisch Platz nehmen und warf ihm einige Seiten hin, die
    mit gleichmäßiger Schrift bedeckt waren. Er selbst ging
    mit großen Schritten im Zimmer auf und ab und zog da-
    bei so gierig an seiner Zigarette, als hätte er seit einem Monat nicht geraucht.
    Anwaldt ließ seinen Blick über den eleganten Tisch
    und die luxuriösen Büroutensilien wandern: Eine
    Schreibunterlage aus dunkelgrünem Leder, eine ver-
    schnörkelte Löschsanddose, ein ungewöhnlich bauchiges
    Tintenfass, ein Briefbeschwerer aus Messing in Gestalt
    eines Frauenbeins. Er konnte seinen bitteren Neid nur
    schwer im Zaum halten. Maass schritt sichtlich erregt im
    Zimmer auf und ab, während Anwaldt spürte, wie ihm
    der Durst die Kehle austrocknete. Zwischen den Fenster-
    scheiben raste wütend eine eingesperrte Wespe. Anwaldt
    betrachtete die gedunsenen Wangen des Gelehrten,
    sammelte alle Papiere ein und steckte sie in seine Akten-
    tasche.
    »Auf Wiedersehen, Herr Doktor. Ich werde das alles in
    meinem Arbeitszimmer studieren.« Das Wort »meinem«
    hatte er

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