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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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stellte den Motor ab. Aus Erfahrung wusste er,
    dass die Verfolgung eines Autos mehr Vorsicht verlangte
    als eine Verfolgung zu Fuß. Er stieg aus und ging zu der
    Kreuzung, wo er gerade noch sah, wie der Mercedes wie-
    der anfuhr und dann wendete. Kurze Zeit später war er in
    Richtung Breslau verschwunden. Diesmal gab es keinen
    Zweifel: Der Chauffeur war in seinem Wagen allein. An-
    waldt notierte die Autonummer und näherte sich dem
    Palais, ein Gebäude im neugotischen Stil. Die geschlosse-
    nen Fensterläden verliehen ihm ein abweisendes Ausse-
    hen, und über dem Eingang war der Schriftzug »Lohe-
    schlösschen« eingemeißelt.
    »Um diese Zeit schläft jedes Bordell«, murmelte An-
    waldt und sah auf die Uhr. Seiner Brieftasche entnahm er
    die Visitenkarte, die er gestern Nacht von dem Kutscher
    erhalten hatte, und verglich die Adresse. Sie stimmte überein: Schellwitzstraße. (Dieser Vorort von Breslau müsste also Opperau heißen wie es auf der Visitenkarte steht.) Er klingelte lange, bis endlich ein Mann im Eingang erschien. Er hatte die Statur eines Schwergewichtboxers,
    schritt gemächlich zum Tor und kam allen Fragen An-
    waldts zuvor:
    »Unser Club ist ab sieben Uhr abends geöffnet.«
    »Ich bin von der Polizei. Kriminalabteilung. Ich hätte
    da einige Fragen an den Besitzer.«
    »Das behaupten viele. Ich hab dich noch nie gesehen,
    aber ich kenne alle von der Kripo. Außerdem weiß jeder
    bei der Polizei, dass es hier nur eine Besitzerin gibt und keinen Besitzer …«
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    »Hier ist mein Dienstausweis.«
    »Da steht ›Polizei Berlin‹. Und wir sind hier in Bres-
    lau.«
    Anwaldt verfluchte seine Zerstreutheit. Schon seit
    Samstag lag in der Personalabteilung sein Breslauer
    Dienstausweis für ihn bereit, nur hatte er ganz vergessen, ihn abzuholen. Der Boxer warf ihm unter seinen geschwollenen Augenlidern einen teilnahmslosen Blick zu.
    Anwaldt stand in der prallen Sonne und zählte die ver-
    schnörkelten Schmiedeeisenstäbe der Umzäunung.
    »Entweder du machst jetzt das Tor auf, oder ich rufe
    meinen Vorgesetzten Forstner an«, drohte er. »Willst du,
    dass die Chefin deinetwegen Probleme kriegt?«
    Der Gorilla schien unausgeschlafen und verkatert. Er
    kam langsam auf das Tor zu und zischte:
    »Mach, dass du weg kommst! Sonst …«, er dachte
    sichtlich angestrengt darüber nach, was bedrohlich genug
    klingen könnte, als Anwaldt sich mit seinem ganzen Ge-
    wicht gegen das eiserne Gittertor warf. Es sprang auf und
    traf den Gorilla mitten ins Gesicht. Nachdem er auf dem
    Gelände war, wich Anwaldt geschickt dem Wächter aus,
    dem ein dicker Strom Blut aus der Nase rann. Aber der
    Getroffene erholte sich schnell von seinem Schreck. Er
    holte aus und versetzte Anwaldt einen mächtigen Faust-
    schlag vor den Brustkorb, sodass diesem die Luft weg
    blieb. Anwaldt röchelte und konnte gerade noch vor dem
    zweiten Schlag in Deckung gehen. Diesmal verfehlte die
    Faust des Wächters jedoch ihr Ziel – und traf mit voller
    Wucht einen der Eisenstäbe des Zauns. Einige Sekunden
    lang starrte der Gorilla ungläubig auf seine zerschmetter-
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    te Hand. Diesen Moment nutzte Anwaldt: Er sprang hin-
    ter seinen Gegner und holte mit dem Fuß aus, als wolle er
    einen Elfmeter schießen. Er zielte genau, seine Schuhspit-
    ze rammte sich mit aller Kraft in den Damm seines Wi-
    dersachers. Der zweite Tritt traf mit derselben Präzision, diesmal die Schläfe – was seinem Gegner den Rest gab.
    Der Wächter schwankte wie ein Betrunkener und be-
    mühte sich, um jeden Preis aufrecht stehen zu bleiben.
    Anwaldt bemerkte aus den Augenwinkeln drei Gestalten,
    die vom Palais herangelaufen kamen. Er bemerkte, dass
    er seinen Revolver im Wagen gelassen hatte.
    »Stehen bleiben!« Eine donnernde Frauenstimme rief
    die drei Wächter zurück, die sich eben anschickten, dem
    Eindringling, der ihren Kollegen so übel zugerichtet hat-
    te, den Garaus zu machen. Gehorsam taten sie, wie be-
    fohlen. Eine üppige Frau stand in einem Fenster des er-
    sten Stockwerks und blickte auf Anwaldt hinunter.
    »Wer sind Sie?«, rief sie. Ihr fremdländischer Akzent
    war unüberhörbar.
    Der Wächter verlor endgültig das Gleichgewicht und
    schlug der Länge nach auf die Erde. Mit der unverletzten
    Hand hielt er sich den Unterleib. Plötzlich fühlte Anwaldt Mitleid mit diesem Menschen, den er derart malträtiert
    hatte, nur weil er gewissenhaft seine Pflicht erfüllte. Er blickte zum Fenster hoch und erwiderte:
    »Kriminalassistent

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