Tod in Breslau
Herbert Anwaldt.«
Madame le Goef war erregt, aber sie beherrschte sich
noch:
»Das lügst du. Du hast gesagt, dass du wirst anrufen
Forstner. Das ist nicht Kripo-Chef.«
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Anwaldt musste unwillkürlich lächeln, als er ihr merk-
würdiges Deutsch hörte. »Erstens: Ich möchte Sie bitten,
mich nicht zu duzen. Und zweitens: Mein Chef ist Kri-
minaldirektor Eberhard Mock, ich kann ihn aber im
Moment nicht erreichen. Er ist im Urlaub.«
»Bitte. Kommen Sie herein.« Anwaldt sagte offenbar
die Wahrheit. Gestern hatte Mock wegen seiner Abreise
die wöchentliche Schachpartie verschoben. Außerdem
hegte Madame Mock gegenüber außergewöhnliche Ehr-
furcht und hätte wohl auch einem Einbrecher, der sich
auf ihn berief, die Tür geöffnet.
Auf seinem Weg zum Eingang achtete Anwaldt nicht
auf die verbissenen Mienen der drei Schläger. Drinnen
musste er zugeben, dass das »Loheschlösschen«, was sei-
ne Einrichtung betraf, den Etablissements in Berlin in
nichts nachstand. Dasselbe hätte man vom Empfangs-
zimmer der Chefin sagen können. Ohne weitere Um-
stände setzte er sich in die Nähe des offenen Fensters.
Von draußen drang ein schleifendes Geräusch herein:
Die Gorillas zogen ihren bewusstlosen Kollegen über den
Hof. Anwaldt zog das Jackett aus, hustete und betastete
vorsichtig seine geprellten Rippen.
»Kurz bevor ich gekommen bin, hat ein schwarzer
Mercedes vor Ihrem Haus gehalten, aus dem ein Mäd-
chen in Schuluniform gestiegen ist. Ich möchte gerne mit
ihr sprechen.«
Madame griff nach dem Telefonhörer und sprach eini-
ge offenbar ungarische Sätze.
»Gleich. Jetzt sie badet.«
Sie mussten nicht lange warten. Anwaldt kam nicht
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einmal dazu, sich an der großen Reproduktion von Goyas
»Nackter Maja« zu erfreuen, bevor Ernas Doppelgängerin
gleich darauf in der Tür stand. Statt der Schuluniform
trug sie nun rosa Tüll.
»Erna …« Er versuchte seinen Versprecher in ironi-
schem Ton zu überspielen. »Pardon, Elsa … In welches
Gymnasium gehen Sie?«
»Ich arbeite hier«, erwiderte sie.
»Ach so, Sie arbeiten hier.« Er äffte sie nach. »Wozu
lernen Sie dann Latein? Cui bono?«
Das Mädchen schwieg, sie hatte züchtig die Lider ge-
senkt. Anwaldt wandte sich an die Besitzerin des Etablis-
sements:
»Tun Sie mir einen Gefallen. Bitte lassen Sie uns allein.«
Madame befolgte seinen Befehl wortlos, jedoch nicht
ohne dem Mädchen vorher bedeutungsvoll zuzuzwin-
kern. Anwaldt setzte sich hinter den Schreibtisch und
lauschte eine Weile den Geräuschen, die aus dem som-
merlichen Garten zu ihnen hereindrangen.
»Was tun Sie bei Maass?«
»Soll ich’s Ihnen zeigen?« (Genauso hatte Erna ihn an-
gesehen, als er damals in Klaus Schmetterlings Garconniè-
re eingedrungen war. Die Polizei hatte schon lange ein Au-ge auf diese unscheinbare Wohnung in Berlin-Charlottenburg gehabt, denn es war bekannt, dass der Bankier
Schmetterling eine Schwäche für Minderjährige hatte.
Diesmal war es ihnen gelungen, ihn zu überraschen.)
»Nein. Du wirst mir gar nichts zeigen.« Anwaldt gab
sich desinteressiert. »Wer hat dich zu ihm geschickt? Für
wen arbeitet der bärtige Chauffeur?«
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Das Mädchen hatte aufgehört zu lächeln.
»Ich weiß nicht. Er ist einfach irgendwann aufgetaucht
und hat gesagt, dass es da einen Kunden gibt, der Gymna-
siastinnen mag. Was soll’s also? Maass zahlt gut. Und der
mit dem Bart fährt mich hin und holt mich wieder ab. Und
heute Abend soll er mich noch zu einer großen Veranstal-
tung bringen. Wahrscheinlich bei seinem Chef. Ich kann
Ihnen das alles erzählen, wenn ich wieder zurück bin.«
Anwaldt hatte in seinen Dienstjahren schon zahllose
Prostituierte verhört, er wusste, dass Elsa nicht log.
»Setz dich.« Er wies auf einen Stuhl. »Die nächste
Hausaufgabe wirst du für mich machen. Heute Abend auf
dem Fest wirst du dafür sorgen, dass alle Fenster – be-
sonders die Balkonfenster – offen oder zumindest ange-
lehnt sind. Außerdem werde ich in Zukunft noch andere
Aufgaben für dich haben. Mein Name ist Herbert An-
waldt. Von heute an wirst du tun, was ich dir sage, oder
endgültig in der Gosse landen! Ich könnte dich dem übel-
sten Zuhälter in dieser Stadt überlassen!«
Er war sich klar, dass er das nicht hätte erwähnen müs-
sen. (Was jede Hure am meisten fürchtet, das ist die Polizei.) Er bemerkte, wie gequetscht seine Stimme klang.
»Bring mir etwas Kaltes zu trinken. Am besten
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