Tod in Breslau
ge-trockneten Feigen, die sie auf Schnüre gezogen hatten.
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Plötzlich ertönte das Donnern von Pferdehufen. Die
Gläubigen wandten entsetzt ihre Gesichter vom heiligen
Feuer ab. Die gepanzerten, mit Kreuzen geschmückten
Pferde galoppierten direkt in das Getümmel. Der Kreuz-
ritter berauschte sich an dem süßen Gefühl seines rechten
Glaubens, als er mit seinem Schwert zahlreiche menschli-
che Körper durchbohrte: Hier, unter seinem treuen
Werkzeug, starben zum Lob des Gottes nun die Huldiger
Satans und der sieben gefallenen Engel, deren klingende
Namen eben noch so stolz die Luft erfüllt hatten. Die
Pfeile der Türken schwirrten durch den Qualm des Feu-
ers und der Öllampen, und Blut floss über die grellbunten
Gewänder und Turbane. Nur wenige der Überfallenen
zogen aus den Gurten ihre gekrümmten Waffen und ver-
suchten, sich den rasenden Eroberern entgegenzustellen.
Das Sausen der Pfeile und das Sirren der Armbrustseh-
nen ließen eine absonderliche Musik erklingen. Die spit-
zen Geschosse bohrten sich in weiches Fleisch, zersplit-
terten Knochen, zerrissen gespannte Muskeln. Es dauerte
nicht lange, und die wilden Angreifer wandten sich den
Frauen zu, die bisher als Einzige unversehrt geblieben
waren. Im ehernen Zugriff der rüstungsbewehrten Arme
wich das Blut aus ihren braunen Gesichtern, verzerrten
sich die schönen, ebenmäßigen Züge, lösten sich die
kunstvoll geflochtenen Zöpfe, verwelkten Blüten, die das
Haar geschmückt hatten, klirrten die goldenen und sil-
bernen Münzen an den Schläfen und die geschliffenen
Steine über der Stirn, zerrissen die gläsernen Perlenket-
ten. Einige der Frauen suchten in Nischen und Felsspal-
ten Zuflucht vor der Gewalt ihrer Peiniger. Doch die
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Kreuzritter und Sarazenen zerrten sie aus ihren Verstecken hervor, um sie wie von Sinnen umso heftiger in Besitz zu
nehmen. Wer auf diese Art noch keine Trophäe erlangt
hatte, hielt sich an die wenigen noch lebenden Männer
und metzelte sie ohne Erbarmen nieder. Die überwältigten
Frauen fügten sich demütig in ihr Los. Sie wussten, dass sie nun auf dem Sklavenmarkt feilgeboten würden.
Nach und nach senkte sich wieder Stille auf das Tal,
nur vereinzelt ließ sich noch ein Schrei des Schmerzes
oder der Wollust vernehmen.
Beide Kommandanten standen auf dem Vorplatz des
Tempels, vor dem Eingang des Hauses, in dem der Mann
lebte, den sie seit langem suchten: der heilige Pir Al-
Shausi. In die Hauswand waren fünf Symbole eingeritzt:
Schlange, Axt, Kamm, Skorpion und eine kleine Men-
schenfigur. Daneben las man auf Arabisch die gemeißelte
Inschrift: »Allah! Es gibt keinen Gott außer Ihm, dem Le-
bendigen, dem Ewigen! … Sein ist, was in den Himmeln
und was auf Erden.«
Der Türke blickte den Kreuzritter an und erklärte:
»Ein Vers aus der zweiten Sure des Korans.« Der Kreuz-
ritter kannte den berühmten Spruch, denn er hatte ihn
während des Massakers aus dem Munde der Sarazenen
und an vielen Abenden aus dem der betenden arabischen
Sklavinnen gehört. Doch er scherte sich nicht um die hei-
ligen Worte der Inschrift, die das Haus des Al-Shausi
schützen und segnen sollte – ebenso wenig, wie er sich
vor einem Jahr um den Gott der Byzantiner geschert hat-
te, als er auf einem Beutezug den Tempel Konstantino-
pels geschändet und besudelt hatte.
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Sie betraten das Haus. Zwei türkische Krieger bewach-
ten die Tür, damit es niemand ungesehen verlassen konn-
te, die anderen machten sich drinnen auf die Suche nach
dem heiligen Alten. Anstelle des Pirs trugen sie bald zwei zusammengerollte Teppiche herbei, in denen etwas heftig
zappelte. Sie wurden aufgerollt, und vor den Füßen der
Kommandanten lagen ein verzweifeltes, dreizehnjähriges
Mädchen und ein nur wenig älterer Jüngling – die Kinder
des Gesuchten. Dem Priester selbst war die Flucht in die
Wüste geglückt. Wortlos warf sich der Anführer der
Kreuzritter an Ort und Stelle auf das Mädchen, um sich
an ihm zu vergehen – nur ein kurzer Moment, und sie
war eine weitere Beute seines Kriegszugs geworden. Der
Bruder des Mädchens stieß etwas von Vater und Rache
hervor. Doch der Unhold beachtete ihn nicht. Im Licht
der Öllampen erblickte er einige Skorpione, die aus ei-
nem gesprungenen Tonkrug gekrochen waren. Diese
flößten ihm keineswegs Furcht ein, vielmehr schien das
Auftauchen der gefährlichen Geschöpfe seinen Blut-
rausch nur noch anzustacheln. Der Raum war
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