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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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Chronisten berichten.«
    XI
    Mesopotamien, Sinjar-Gebirge,
    drei Tagesritte westlich von Mosul.
    Zweiter Safar, im Jahre 601 nach der Hedschra

    Dies sind die Worte von Hussein, Sohn des Sahim, Allah sei ihm gnädig! Dieses Kapitel enthält den Bericht eines rechtmä-
    ßigen Aktes der Vergeltung, den ein Krieger Allahs an den
    Kindern eines Pirs verübte, der dem Satan huldigte, verdammt sei sein Name in alle Ewigkeit …

    Die Abendsonne sank tiefer am blauen Firmament. Die
    Konturen der Berge traten schärfer hervor, und die Luft
    wurde klarer. Am Rande eines steilen Abgrunds schob
    sich ein Reiterzug langsam vorwärts. An dessen Spitze rit-
    ten zwei Kommandanten: ein Kreuzritter und ein türki-
    scher Krieger. Soeben hatten sie den Pass erreicht, hinter dem sich ihnen der Anblick einer Landschaft bot, die
    sanft zum Tal hin abfiel. Sie hielten ihre Pferde an und streckten sich zufrieden im Schatten einiger Felsen aus,
    die wie die Türme eines Minaretts emporragten. Die etwa
    vierzig nachfolgenden Reiter, teils Christen, teils Mo-
    hammedaner, taten es ihnen gleich. Mit großer Erleichte-
    rung setzte der Kreuzritter seinen Topfhelm ab – der Na-
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    ckenschutz hatte auf seinem feuchten Hals bereits einen
    roten, geschwollenen Striemen hinterlassen. Unter dem
    Vollvisier war die Hitze unerträglich geworden, und auch
    sein mit Malteserkreuzen bestickter Waffenrock war
    schweißdurchtränkt. Sein Pferd, dessen Haupt eine mei-
    sterhaft geschmiedete Rossstirn zierte, schnaubte heftig,
    und weiße Schaumflocken tropften von seinen Nüstern.
    Dem türkischen Offizier hingegen schien die Anstren-
    gung nicht im selben Maße zuzusetzen. Mit großem In-
    teresse begutachtete er die Armbrust des Kreuzritters.
    Ähnlich wie seine Krieger war auch er in Vollvisier, seine Sturmhaube war mit einem weißen Band umwickelt. Er
    trug ein Kettenhemd, weiße, bis knapp über die Knie fal-
    lende Hosen und hohe schwarze Stiefel. Die Bewaffnung
    des Türken und seiner Gefolgsleute bestand aus Hornbö-
    gen und Köchern mit dreifach befiederten Pfeilen, dazu
    trugen sie einen Säbel, den die Araber sif nennen. Ihr Kommandant führte zusätzlich eine eiserne Streitaxt mit
    sich, deren silberne Intarsien sich zu arabischen Orna-
    menten fügten.
    Nach einer kurzen Rast hatte der christliche Ritter sich
    erholt und der Sarazene sein Interesse an der Armbrust
    verloren. Beide ließen das Tal nicht aus den Augen, das
    sich am Ende des felsigen Hangs erstreckte. Zwischen
    grünen Palmen erkannte man einen flachen, weitläufigen
    Tempel, in dessen Wände zahlreiche Nischen eingelassen
    waren, worin blakende Öllampen brannten. Immer wie-
    der trat eine Gestalt zu einem der Lichter, bewegte die
    rechte Hand einige Male über der Flamme, um sich dann
    mit den rußgeschwärzten Fingern über die rechte Au-
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    genbraue zu streichen. Doch es war nicht dieses seltsame
    Verhalten der Menschen im Tal, das die Aufmerksamkeit
    der beiden Kommandanten fesselte. Beide versuchten an-
    gestrengt, die Anzahl der Fremden zu erfassen, und beide
    kamen etwa zum selben Ergebnis: Im Umkreis des Tem-
    pels und der umgebenden Gebäude drängten sich an die
    zweihundert Personen beiderlei Geschlechts und jegli-
    chen Alters. Besonders die Männer waren auffällig ge-
    kleidet, sie trugen eng anliegende Bußhemden und
    schwarze Turbane und achteten unablässig darauf, dass
    keines der Öllichter erlosch. Sobald eines ausgebrannt
    war, hatten sie einen in frisches Öl getauchten Docht zur
    Hand, sodass bald eine neue Flamme zischend aufloderte.
    Die Nacht senkte sich auf die Erde. Im Licht der Öllam-
    pen begann nun ein rituelles Treiben, wilde, ekstatische
    Tänze. Im ganzen Tal hallten leidenschaftliche Gesänge
    wider. Kehlige Schreie zerrissen die Luft. Der Kreuzritter zweifelte nicht, dass er Zeuge einer Orgie der babyloni-schen Königin Semiramis war. Die Nerven des Türken wa-
    ren zum Zerreißen gespannt. Beide riefen ihren Kriegern
    Befehle zu. Langsam und mit Bedacht ritten sie den Berg-
    hang hinab, während in der Luft die Namen der sieben
    Engel wirbelten: Jibraîl, Mikaîl, Israfaîl, Azraîl, Dardaîl, Turaîl und Samnaîl. Der durchdringende Lärm der
    Trommeln, Flöten und Tamburine erfüllte das ganze Tal.
    Frauen fielen in Trance, Männer drehten sich wie hypnoti-
    siert um ihre eigene Achse, Priester opferten das Fleisch
    und die Innereien eines Lammes und verteilten alles an die Umstehenden. Bis die Reihe an sie kam, kauten sie die

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