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Tod in den Anden

Tod in den Anden

Titel: Tod in den Anden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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eingestellt, die Regierung habe dem Bauunternehmen bereits den Bescheid zukommen lassen. Die Gewerkschaft versammelte sich, und die Hilfsarbeiter besetzten die Einrichtungen, bemächtigten sich der Maschinen und verlangten Garantien. Dann folgte eine unterschiedlich lange Zeitspanne, in der nichts geschah. Die Ingenieure verschwanden, und das Lager blieb in den Händen der Vorarbeiter und des Zahlmeisters, die mit den Streikenden fraternisierten und mit ihnen das einfache Essen teilten, das in der Abenddämmerung auf dem freien Gelände zwischen den Baracken zubereitet wurde. Es war nie zu Gewalttätigkeiten gekommen, der Korporal und sein Amtshelfer hatten nie einschreiten müssen. Die Unterbrechungen hörten auf geheimnisvolle Weise auf, ohne daß über das Schicksal der Straße entschieden wurde. Das Unternehmen – oder der Vertreter des Ministeriums, der geschicktworden war, um den Konflikt zu schlichten – verpflichtete sich, niemanden zu entlassen und den Arbeitern die Streiktage zu bezahlen. Die Bauarbeiten kamen im Zeitlupentempo wieder in Gang. Aber Lituma schien es, als würden die Hilfsarbeiter nicht dort weiterarbeiten, wo sie aufgehört hatten, sondern als würden sie wieder von vorne anfangen. Egal, ob es in den Bergen, wo sie die Sprengungen machten, zu Einstürzen gekommen war oder ob Überschwemmungen infolge der Regenfälle die Trasse zerstört und die Befestigung abgetragen hatten oder irgend etwas anderes geschehen war, der Korporal hatte den Eindruck, daß sie noch immer im gleichen Sektor Erde aushoben, sprengten, planierten oder Schichten von Rollsplitt und Teer auftrugen, in dem sie gearbeitet hatten, als er nach Naccos kam.
    Er befand sich auf der Höhe einer felsigen Erhebung, am Fuß eines Gletschers, anderthalb Kilometer vom Lager entfernt, und konnte unten in der klaren Luft der Morgendämmerung die Wellblechdächer der Baracken in der frühmorgendlichen Sonne glänzen sehen. »Neben dem Eingang des verlassenen Bergwerks«, hatte der Typ zu Tomasito gesagt. Der Eingang war hier, halb verdeckt von morschen Holzbalken, die einst den Zugang zum Stollen abgestützt hatten; sie waren jedoch umgefallen und bedeckten jetzt zusammen mit vom Gipfel herabgerollten Felsbrocken und Geröll drei Viertel der Öffnung.
    Und wenn diese Verabredung nun ein Hinterhaltwar? Ein Trick, um ihn von Carreño zu entfernen? Sie würden getrennt über sie herfallen, sie entwaffnen und sie umbringen, nachdem sie sie gefoltert hätten. Lituma stellte sich seinen von Kugeln durchlöcherten Körper vor, zerfetzt und verrenkt, mit einem rot bemalten kleinen Pappschild: »So krepieren die Hunde der Bourgeoisie.« Er holte die 38er Smith and Wesson aus ihrem Halfter und warf einen Blick in die Runde: Steine, Himmel und in der Ferne ein paar kleine, sehr weiße Wolken. Nicht einmal ein verdammter Vogel in der Luft.
    Der Typ hatte sich Tomasito am Vorabend von hinten genähert, als dieser einem Fußballspiel zwischen zwei Hilfsarbeitertrupps zuschaute, und ihm zugeflüstert, während er tat, als wollte er das Spielgeschehen kommentieren: »Es gibt jemanden, der Informationen über die Verschwundenen besitzt. Er würde sie dem Korporal persönlich mitteilen, wenn es eine Belohnung gibt.« Gab es eine?
    »Ich weiß nicht«, sagte Carreño.
    »Lächeln Sie«, fügte der Typ hinzu, »schauen Sie auf den Ball, zeigen Sie auf ihn, bringen Sie mich nicht in Gefahr.«
    »Ist gut«, sagte der Gendarm. »Ich werde meinen Chef fragen.«
    »Er soll morgen allein zum verlassenen Bergwerk kommen, bei Sonnenaufgang«, sagte der Typ lächelnd, während er gestikulierte und das Gesicht verzog, als würde er keinen einzigen Ballstoß versäumen. »LachenSie, zeigen Sie auf den Ball. Und vor allem, vergessen Sie mich.«
    Carreño war sehr aufgeregt zu ihm gekommen, um ihm die Nachricht zu überbringen:
    »Endlich was, woran wir uns halten können, Herr Korporal.«
    »Wir werden sehen, Tomasito, hoffentlich. Hast du eine Idee, wer dieser Typ ist?«
    »Er schien ein Hilfsarbeiter zu sein. Ich habe ihn vorher nicht gesehen, glaube ich.«
    Der Korporal war im Dunkeln aufgestanden und hatte auf dem Weg zum Bergwerk die Sonne aufgehen sehen. Er befand sich schon eine gute Weile hier. Seine Erregung hatte sich gelegt. Wenn es keine Falle war, konnte es der Streich irgendeines Arschlochs von Indio sein, der sich auf Kosten des Uniformträgers amüsieren wollte. Hier stand er wie ein Trottel, mit dem Revolver in der Hand, und wartete auf ein

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