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Tod in den Anden

Tod in den Anden

Titel: Tod in den Anden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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aufmunternd.
    Sie murmelte »hoffentlich«. Und sie verharrte mit geschlossenen Augen, zitternd, bis man ihnen das Essen brachte.
    »So konnte ich sie nach Lust und Laune anschauen«, sagte Tomasito.
    »Bis jetzt kann ich sie mir nicht vorstellen«, sagte Lituma. »Ich seh sie einfach nicht. Es hilft mir überhaupt nicht, daß du mir sagst ›sie ist wunderbar‹, ›sie ist toll‹. Sag mir wenigstens ein bißchen genauer, wie sie aussieht.«
    »Ein rundes Gesicht, Wangen wie zwei Äpfel, volle Lippen und eine wohlgeformte Nase«, rezitierte Tomás. »Ein Näschen, das bebte, wenn sie sprach, wie bei einem kleinen Hund, der schnuppert. Durch die Müdigkeit hatte sie blaue Augenringe unter ihren langen Wimpern.«
    »Himmel, du warst verknallter als ein Kalb in den Mond.« Lituma konnte es kaum fassen. »Und du bist es noch immer, Tomasito.«
    »Obwohl sie zerzaust war, obwohl sie ihr ganzes Rouge verloren hatte und der Staub der Reise an ihr klebte, war sie nicht häßlich geworden«, fuhr der Junge fort. »Sie war noch immer wunderschön, Herr Korporal.«
    »Du kannst dich wenigstens mit diesen Erinnerungen an Mercedes trösten«, klagte Lituma. »Ich habe keine aus Piura mitgebracht. Nicht eine Frau in Piura oder Talara, die sich nach mir sehnen würde, nicht eine einzige Frau in der Welt, nach der ich mich sehnen kann.«
    Sie aßen die Suppe schweigend, und dann brachte man ihnen paniertes Fleisch mit Reis, das sie nicht bestellt hatten. Aber sie aßen es ebenfalls.
    »Plötzlich füllten ihre Augen sich mit Tränen, obwohl sie sich bemühte, nicht zu weinen«, sagte Tomás. »Sie zitterte, und ich wußte, es war aus Angst vor dem, was uns passieren könnte. Ich wollte sie trösten, aber ich wußte nicht, wie. Auch mir kam die Zukunft schwarz vor.«
    »Überspring diesen Teil und komm endlich zum Bett«, bat Lituma.
    »Wisch dir die Tränen ab.« Carreño reichte ihr sein Taschentuch. »Ich werde nicht zulassen, daß dir was passiert, ich schwör’s dir.«
    Mercedes trocknete sich das Gesicht und schwieg, bis sie mit dem Essen fertig waren. Das Zimmer lag im zweiten Stock, am Ende des Flures, und die Betten waren durch einen Holzschemel getrennt, der als Nachttisch diente. Die Glühbirne baumelte an einem spinnwebenbedeckten Kabel herab und erleuchtete nur schwach die verblaßten, rissigen Wände und die Dielen, die unter ihren Füßen knarrten.
    »Die Geschäftsführerin gab uns zwei Handtücher und ein Stück Seife.« Tomasito machte weiter Umschweife. »Sie sagte, wenn wir duschen wollten, dann sollten wir es gleich tun, denn tagsüber komme das Wasser nicht hinauf.«
    Sie ging hinaus, und Mercedes folgte ihr, mit dem Handtuch über der Schulter. Sie kam nach einer gutenWeile zurück, und der Junge, der sich auf das Bett gelegt hatte und gespannt war wie eine Gitarrensaite, fuhr erschreckt hoch, als er sie im Zimmer wahrnahm. Sie hatte sich das Handtuch wie einen Turban um den Kopf gewickelt, ihr Kleid war aufgeknöpft, und sie trug die Schuhe in der Hand.
    »Eine herrliche Dusche«, hörte er sie sagen. »Das kalte Wasser hat mich wieder zum Leben erweckt.«
    Er nahm das Handtuch und ging sich ebenfalls duschen.
    »Bist du blöd?« fragte Lituma empört. »Worauf hast du denn gewartet? Und wenn die Piuranerin nun einschlafen würde?«
    Es war nur ein Strahl, aber er kam kräftig, und das Wasser war in der Tat kalt. Tomás seifte sich ein, rieb seinen Körper ab und spürte, wie die Müdigkeit von ihm abfiel. Er rieb sich trocken, zog die Unterhose an und band darüber, in der Taille, das Handtuch. Als er ins Zimmer trat, war es dunkel. Er legte seine Kleidung auf eine Kommode, auf der Mercedes ihre zusammengefaltet hatte. Dann tastetete er sich zu dem leeren Bett vor und schlüpfte unter die Decke. Seine Augen gewöhnten sich allmählich an die Dunkelheit. Unruhig und aufgeregt, schärfte er seine Ohren und versuchte, etwas zu hören. Sie atmete tief, mit langen Pausen. Schlief sie schon? Und er glaubte, ihren Körper zu riechen, hier, ganz nah. Er holte tief Luft, ihm war beklommen zumute. Sollte er zu seinem Paten gehen und versuchen, ihm die Sache zu erklären? »Dasist der Lohn für alles, was ich für dich getan habe, du Mistkerl?« Er würde ins Ausland gehen müssen, egal wie.
    »Ich dachte an alles und nichts, Herr Korporal.« Die Stimme seines Amtshelfers zitterte. »Ich hatte Lust zu rauchen, aber ich bin nicht aufgestanden, um sie nicht zu wecken. Wie seltsam, neben ihr zu liegen. Wie seltsam, zu

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