Tod in der Marsch
Fall der Toten
untersuchen, die im Entwässerungsgraben auf Ihrem Land gefunden wurde«,
erklärte Christoph.
»Sie meinen die bedauernswerte Anne Dahl.«
»Sie kannten die Frau?«, hakte Große Jäger nach.
»Nicht sehr gut. Das Dorf ist nicht groß, sodass man
einander irgendwann einmal begegnet. Ich habe wenig Kontakt zu den anderen
Einwohnern, zu den Ureinwohnern.« Es war ein sarkastischer Seitenhieb auf
Christophs kritische Anmerkungen zu seiner eigenen Herkunft. »Sie hat in den ersten
Jahren, als wir hier noch eine Grundschule hatten, mit meinem Sohn zusammen die
gleiche Klasse besucht. Das hat sich dann aber auseinander gelebt, als mein
Sohn auf das Gymnasium überwechselte.«
»Sie haben einen Sohn?«
»Ja, mein einziger Nachkömmling. Er studiert zurzeit
am anderen Ende Deutschlands, in Freiburg, Betriebswirtschaft. Ich bin
verwitwet. Meine Frau starb vor einigen Jahren an einer schweren Krankheit.«
»Sie wohnen allein in diesem Haus?«
»Ja!« Er stand auf, öffnete die Tür zu einem Nebenraum.
Eine große schwarze Dogge mit einem weißen Brustschild kam in den Raum. Der
riesige Kopf mit den großen Lefzen näherte sich bedrohlich den Besuchern, die
reglos in ihren Sesseln verharrten. Von Dirschau hatte sich wieder gesetzt und
sagte nur knapp: »Komm!« Der Hund legte sich an seine Seite. Er wirkte auch im
Liegen noch wuchtiger als viele seiner Artgenossen in voller Größe. Der
Hausherr kraulte den Kopf des Tieres.
»Ich benötige keine Alarmanlage. Aber um Ihre Frage zu
beantworten, vorhin erwähnte ich bereits, dass ich eine Halbtagskraft für die
Büroarbeiten habe. Außerdem führt mir eine Frau aus dem Dorf schon seit zwanzig
Jahren den Haushalt. Meine Mitarbeiter verkehren in diesem Hause. Aber wohnen …
nein, da möchte ich meine Freiheit haben. Ich lebe allein in diesem Haus.« Zur
Bekräftigung seiner Worte schüttelte er leicht den Kopf.
»Um noch einmal auf die tote Frau zurückzukommen«,
nahm Christoph den Faden wieder auf. »Haben Sie eine Idee, wen Anne Dahl hier
in Marschenbüll besucht haben könnte?«
Von Dirschau tat, als überlege er intensiv, um dann
tief bedauernd und mit gekonnter Gestik festzustellen: »Das tut mir Leid, aber
ich habe wenig Berührungspunkte zu den Leuten im Dorf. Mein Betrieb fordert das
ganze Engagement, da bleibt keine Zeit für Geschwätz.«
»Wann haben Sie Frau Dahl das letzte Mal gesehen?«
Der Hausherr holte tief Luft, überlegte: »Das muss
schon sehr lange her sein, bestimmt schon Jahre. Ich glaube, sie hatte seit
ewigen Zeiten keinen Kontakt mehr zu Leuten von hier.«
»Und Ihr Sohn? Der hat schließlich einmal mit ihr die
Schulbank gedrückt!«
Von Dirschau zeigte den Anflug eines Lächelns. »Das
ist richtig, aber das war vor Jahrzehnten. Die beiden sind in die damalige
Dorfschule eingeschult worden. Ab der fünften Klasse ist mein Sohn dann auf das
Gymnasium nach Husum übergewechselt, während Anne einen anderen Weg
eingeschlagen hat.«
Christoph hatte die feinen Zwischentöne registriert.
»Was meinen Sie damit?«
»Sie hat jedenfalls nicht das Gymnasium besucht«, wich
der Hausherr aus. Von sich aus ergänzte er dann erklärend: »Mein Sohn ist
gleich nach dem Abitur nach Freiburg gegangen und studiert dort
Betriebswirtschaft. Der hat schon seit langem keinen Kontakt mehr zu den
Einheimischen.«
»Wenn Ihr Sohn der gleiche Jahrgang wie Anne Dahl ist«,
rechnete Christoph kurz hoch, »dann müsste er jetzt schon bald im fünfzehnten
Semester sein. Eine lange Zeit für Betriebswirtschaft. Oder promoviert Ihr
Sohn?«
Mit dieser Anmerkung hatte er von Dirschau tief ins
Mark getroffen. »Sicher wird mein Sohn auch noch promovieren. Aber im
Augenblick verstehe ich Ihre Frage nicht.«
»Wir versuchen uns ein Bild von der jungen Frau zu
machen und würden gern wissen, wen sie hier besucht haben könnte. Die Frage
lautet doch ganz einfach: Warum ist Anne Dahl nach Marschenbüll gekommen?«
»Da kann ich Ihnen leider nicht weiterhelfen.« Der
Hausherr griff zu einem der langen Zündhölzer und setzte den Tabak seiner
erkalteten Pfeife erneut in Brand.
»Herr von Dirschau, können Sie sich noch erinnern, was
Sie am Nachmittag des 11. November getan haben? Das war ein Dienstag.«
»Diese Frage ist nicht Ihr Ernst«, konterte der Mann.
»Das ist jetzt viele Wochen her. Sie glauben doch nicht, dass ich Ihnen das
heute noch sagen kann. Außerdem ist es wohl eine Zumutung, mir eine solche Frage
zu stellen. Es klingt so, als würden Sie
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