Tod in der Marsch
war. »Dort drüben hat sie mit ihren Eltern gewohnt. Drei
Kinder hatten die. Die Eltern betrieben eine kleine Landwirtschaft, konnten
davon aber auch nur mehr schlecht als recht leben. Der Vater hat deshalb bei
den größeren Bauern als Tagelöhner mitgearbeitet. Irgendwann haben sie dann
aufgegeben. Die Eltern sind schon lange tot, ihre Kinder aus dem Dorf
fortgezogen. Anne hat nach Husum geheiratet.«
»War Anne gelegentlich im Ort, um jemanden zu besuchen
oder alte Kontakte zu pflegen?«, wollte Christoph wissen.
Der alte Mann schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe sie
viele Jahre nicht gesehen. Vor kurzem allerdings, da ist sie ein-, zweimal mit
ihrer Tochter an der Hand über die Hauptstraße gegangen. Ich habe sie nach der langen Zeit kaum wiedererkannt. Meine Augen, müssen Sie wissen …« Es klang wie
eine Entschuldigung.
*
Als sie das Haus verließen, war die lange Dämmerung in
Dunkelheit übergegangen. Sie fuhren langsam die menschenleere Dorfstraße
entlang.
»Warum war Anne Dahl in der letzten Zeit mit ihrer
Tochter einige Male in Marschenbüll? Sie hat hier keine Verwandten mehr. Und
Freunde und Bekannte besitzt die Familie Dahl auch keine, weder hier noch an
anderer Stelle. Was hat sie hier gemacht?«, fragte Christoph, erhielt aber
keine Antwort von seinen beiden Kollegen.
Stattdessen zeigte Mommsen auf ein Haus. »Ich glaube,
das muss es sein.«
Ein schmiedeiserner Zaun auf einem geklinkerten Sockel
schloss das Grundstück zur Straße hin ab. Die Einfriedung wurde an den Ecken
durch hochgezogene ebenfalls geklinkerte Pfeiler abgegrenzt. Diese wiesen auch
die Einfahrt zum Gebäude, das etwas im Hintergrund lag und durch einen kurzen
Sandweg mit der Straße verbunden war. Es war eines der großen, älteren Häuser,
die bereits im vergangenen Jahrhundert von reichen Bauern errichtet worden
waren. Mit einem dezenten Putzschmuck versehen, ragte der hohe Giebel, in Front
zum Verlauf der Straße gestellt, in den dunklen Himmel. Ein überdachter Vorbau
führte zur schweren zweiflügeligen Haustür. Aus den hell erleuchteten Fenster
fiel Licht auf den für diese Jahreszeit außergewöhnlich gut gepflegten
Vorgarten.
Der Klingelknopf ließ im Haus einen weithin hörbaren
Gong ertönen. Eine Weile später näherte sich, durch das geschliffene
Fensterglas schemenhaft zu erkennen, eine hoch gewachsene Gestalt und öffnete
die Tür. Ein Mann, vielleicht Anfang sechzig, stand vor ihnen. Er war bequem,
aber nicht ohne Geschmack gekleidet. Die sehnige Gestalt hielt sich gerade. Der
Kopf mit dem markanten Profil und den grau melierten Haaren verriet auf den
ersten Blick Durchsetzungsvermögen. Der Mann blinzelte in die Dunkelheit
hinein, um die Besucher in Augenschein zu nehmen.
Christoph hielt seinen Dienstausweis hin und stellte
sich vor. »Herr von Dirschau? Mein Name ist Johannes, Kripo Husum. Das sind
meine Kollegen Große Jäger und Mommsen. Wir ermitteln in der Mordsache der
jungen Frau, die gestern auf Ihrem Grundstück gefunden wurde.«
Von Dirschau hatte eine feste, befehlsgewohnte Stimme.
Er bat sie ins Haus und führte sie durch die Diele, deren Decke von schweren
dunklen Eichenbalken getragen wurde. Wenn es jemals eine Idee vom bäuerlichen
Einrichtungsstil gegeben haben sollte, hier war sie perfekt in die Tat
umgesetzt. Von der Eichentruhe über den alten Dielenschrank und die gemusterten
zahlreichen Türen, die vom Flur weiterführten, über den Kachelofen bis zur
dickbohligen Treppe, die ins Obergeschoss führte, passte alles zusammen. Der
Hausherr öffnete eine weitere Tür und bat sie durch einen Raum, der überhaupt
nicht mit dem übrigen Stil des Hauses harmonierte. Zwei moderne Schreibtische,
mit Computern, Druckern und weiterem Bürozubehör bestückt, standen sich
gegenüber. Die funktionalen Regale waren mit Akten, Telefonbüchern und
sonstigen Utensilien, wie sie in jedem Büro zu finden sind, beladen.
Der auf dieses Zimmer folgende Raum war mit dunklem
Holz getäfelt. Ein wuchtiger, massiver Schreibtisch mit geschnitzten Beinen
stand auf einem dickflauschigen Teppich, an dessen Echtheit keiner der
Neuankömmlinge Zweifel hegen wollte. An den Wänden standen Regale, die eher den
Eindruck einer Bibliothek denn den eines Arbeitszimmers vermittelten. Überhaupt
nicht zur Einrichtung passte die hypermoderne Kommunikationstechnik mit einem
nagelneuen Computer im Zentrum.
Von Dirschau wies auf eine Sitzgruppe, die aus
mehreren schweren, mit grünem Leder bezogenen Sesseln
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