Tod in Florenz
nicht einmal annähernd die richtige Aussprache traf, aber er war immer ganz zufrieden mit dem Ergebnis. ›Ja, ja!‹ bellte er mit breitem Grinsen, wenn es ihm gelungen war, ein Wort herauszubekommen, und dann deutete er auf einen anderen Gegenstand, und das konzentrierte Stirnrunzeln war wieder da. Selten konnte er ein Wort von einem Tag zum anderen behalten, und mit jedem neuen Teller Suppe mußten wir wieder von vorn anfangen. Er hatte wenig oder gar kein Interesse am Fortgang des Krieges, er machte einfach nur seine Arbeit, so gut er eben konnte, und wartete, daß alles vorbeiging. Nur manchmal, wenn er ein Glas Wein zuviel getrunken hatte, wurde er gefühlsselig und zeigte mir mit Tränen in den Augen Fotos von seiner Frau und seinen Kindern. ›In Germania‹, erklärte er dann, als könnte ich unmöglich wissen, wo er herkam. Er jedenfalls wußte bestimmt nicht, warum er hier war.
Und der Feldwebel, Janz hieß er, war immer schlechter Laune wegen irgendeiner Sache, und fast jedesmal, wenn ich da oben ankam, hörte ich als erstes seine wutschnaubende Stimme. Der Auslöser konnte ebensogut ein Bombardement der Alliierten wie ein fehlender Knopf sein, für ihn war alles nur ein weiterer Versuch des Schicksals, ihm eins auszuwischen. Er war übergewichtig und hatte blondes, fast farbloses Haar und eine weiße Haut, die in der Sonne knallrot wurde. Er konnte sich so in Wut steigern, daß er anschwoll wie eine riesige Kröte und ihm fast die Augen herausfielen. Seine Leute waren so an seine Wutausbrüche gewöhnt, daß sie sich nie darüber aufregten, und ich gewöhnte mich nach einer Weile auch an ihn. Soweit ich verstehen konnte, war er Berufssoldat und wütend darüber, daß ein Krieg ausgebrochen war, der sein perfekt geordnetes Leben in Unordnung brachte. Nur ein einziges Mal gab es einen Zwischenfall mit ihm, der mir Angst einjagte. Das war im Sommer 1944, als die Anspannung am größten war. Unser Problem war, daß wir genau am äußeren Ende zweier Fronten lagen, westlich wurde bei Pisa und Livorno gekämpft, und östlich gab es Truppenbewegungen auf Florenz zu, die zu unserem und Empolis Unglück südlich von uns auf der einen Seite und nördlich von San Miniato auf der anderen Seite abschwenkten. Zwischen dieser Zeit und unserer schließlichen Befreiung hat es schreckliche Repressalien gegeben, und der Zwischenfall mit Feldwebel Janz hätte leicht in einem Blutbad enden können. Weiß Gott, die Provokation hätte ausgereicht.
Es war so, daß die Deutschen, die durch alliierte Bombardierungen erhebliche Kommunikationsschwierigkeiten hatten, eine Telefonleitung zu ihrem Standortkommando in Signa gelegt hatten. Und der alte Gino Masi – der, von dem ich vorhin erzählt habe, daß ich ihn mit Maria in den Obstwiesen überrascht hatte – war der Auslöser des Unglücks. Ich hatte ihn am Morgen noch gesehen, wie häufig auf meinem Heimweg, als er nicht weit von hier trockenes Anmachholz für den Winter sammelte. Ich weiß noch, wie er innehielt, sich aufrichtete, um den Schweiß unter seinem Hut wegzuwischen, und dabei grüßend die Hand hob. Ich wohne hier ziemlich abseits und erfuhr erst am frühen Abend etwas, als ich mich zur Villa aufmachte. Ich hatte mir inzwischen ein klappriges altes Fahrrad organisiert, und als ich über den Marktplatz fuhr, wurde mir rasch klar, daß sich da etwas zusammenbraute.
Keine Menschenseele war zu sehen, und das Schweigen war so greifbar, daß ich dachte, gleich müsse eine Bombe explodieren. Alle Jalousien rund um den Platz waren heruntergelassen, aber als ich an der Bar vorbeifuhr, sah ich, daß die metallene Jalousie vor der Tür nicht ganz zu war. Ich stieg vom Rad. Drinnen konnte ich leise Stimmen hören, also klopfte ich, gab mich zu erkennen und fragte, was passiert sei. Sie machten mir nicht auf, aber eine Frauenstimme antwortete leise, daß jemand die Telefonleitung der Deutschen zerschnitten habe und Partisanen vermutet würden. Die Soldaten aus der Villa hätten angeordnet, daß alle in den Häusern bleiben sollten, und nun suchten sie die Schnittstelle am Draht und die Täter. Ich fuhr ein Stück weiter, lauschte dem Klappern meiner Fahrradkette und dachte nach. Soweit ich wußte, kämpften die Partisanengruppen weiter südlich und westlich von uns, und ein einzelner Zwischenfall wie dieser schien unwahrscheinlich. Dann bremste ich plötzlich, fiel dabei fast herunter, wendete und radelte so schnell ich konnte zurück. Mir war gerade ein Bild in den Sinn
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