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Tod in Florenz

Tod in Florenz

Titel: Tod in Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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hinaufgehen würde, um viele Jahre nicht zurückzukommen. Lange, schweigsame Jahre.
    In jener Nacht, es war nach Mitternacht, glaube ich, wurde ich von so etwas wie einem schwachen Kratzen am Laden meines Schlafzimmerfensters geweckt. Erst blieb ich still liegen und dachte, ich hätte mich getäuscht. Ich konnte nur das Zirpen der Zikaden im heißen Dunkel draußen hören. Dann kam das leichte Kratzen wieder, und jemand flüsterte meinen Namen. Ich stand auf, ohne die Öllampe auf meinem Nachttisch anzuzünden, und öffnete die Läden. Das Fenster hatte ich der Hitze wegen schon offen. Pietro kletterte herein und stand schwankend vor mir, sein Gesicht war in der Dunkelheit nur als bleiches Oval zu erkennen. Ich nahm ihn beim Arm und brachte ihn hier herein, wo die Verdunklung besser war und ich eine Lampe anzünden konnte. Selbst da mußte ich ihn zu einem Stuhl führen und hinsetzen. Ich habe während des Krieges einiges Schreckliche gesehen, aber ich habe kaum Worte, zu beschreiben, wie mich der Anblick dieses Jungen entsetzte. Er war schwer verwundet, und seine zerrissenen Kleider waren blutdurchtränkt, doch das war es nicht. Es waren seine Augen. Sie schienen mich von jenseits des Grabes anzusehen … und wie sich herausstellte, stimmte das. Nachdem ich mir seine Wunden angesehen hatte, brachte ich ihn in mein Sprechzimmer, wo ich ihn auszog. Er hatte eine Pistole bei sich, aber er wollte sie nicht hergeben. Er behielt sie in der Hand, während ich arbeitete, und seine Knöchel traten weiß durch den Schmutz hervor, als er sie im Schmerz umklammerte. Ich säuberte seine Wunden, so gut ich konnte. Er war an vier Stellen von Maschinengewehrkugeln getroffen. Eine steckte in der Leistengegend, und ich konnte unter diesen Bedingungen nicht riskieren, sie herauszuholen. Nachdem ich ihn verbunden hatte, zog ich ihm Sachen von mir an, die ihm früher viel zu eng gewesen wären, aber jetzt lose an ihm herunterhingen. Er hatte, seinem Aussehen nach zu urteilen, in letzter Zeit nicht sonderlich gut gegessen. Ich wärmte eine große Tasse Ersatzkaffee auf und gab ihm dazu ein Stück dunkles Brot, das Karl aus unserer Kornernte gebacken hatte. Ich erklärte ihm, daß ich ihn liebend gern in mein Bett stecken würde, doch das Risiko, daß man ihn finde, sei zu groß. Gelegentlich kam es vor, daß die Deutschen mich nachts holten. Er würde die Nacht im Brunnen verbringen müssen, mit Stroh und einer Decke, wie andere vor ihm. Ich würde ihm etwas gegen seine Schmerzen und zum Schlafen geben und ihn bei Morgengrauen wecken. Ich versicherte ihm, er sei sicher da unten, der Brunnen habe schon vielen das Leben gerettet und bis zum Morgen würde ich mir etwas einfallen lassen, um ihn dahin zu bringen, wo er hinmußte.
    Bis dahin hatte er kein Wort gesagt. Jetzt sprach er.
    ›Ich gehe nach Hause.‹ ›Nach Hause? Du bist wahnsinnig! Abgesehen davon, daß sie dich finden werden, denk doch daran, was mit deiner Familie passieren würde.‹ ›Ich gehe nach Hause.‹ Seine Augen hatten immer noch diesen seltsam starren Ausdruck, und ich glaube, instinktiv wußte ich, daß kein Argument ihn umstimmen konnte, obwohl ich es versuchte.
    ›In ein paar Wochen ist der Krieg vorbei. Wenn sie dich jetzt kriegen –‹ ›Ich gehe nach Hause, ich will in meinem Bett schlafen, mit einem lebendigen, warmen Menschen neben mir. Danach ist mir alles egal. Ich will nur in meinem Bett schlafen, mit einem lebendigen warmen Körper …‹ Danach sackte er im Stuhl zusammen und erbrach das Brot und den Kaffee. Ich hoffte, er würde ohnmächtig, damit ich ihn gewaltsam hierbehalten konnte, aber die starren Augen schlossen sich nicht eine Sekunde, er blinzelte kaum. Ich gab ihm etwas Wasser und versuchte ihn zu überreden, eine Schlaftablette zu nehmen, aber er war ganz klar und sagte nein. Sie hätte wahrscheinlich gar nichts genützt bei dem seltsamen Erregungszustand, in dem er sich befand. Ich wagte nicht, ihn zu fragen, was geschehen war, aber mir fiel plötzlich ein, daß vielleicht noch andere aus seiner Gruppe in der Gegend herumliefen, so riskierte ich die Frage: ›Bist du allein gekommen?‹ ›Allein … Ja.‹ ›Und die anderen von deiner Gruppe?‹ ›Sie sind tot. Alle … das ganze Dorf. Alle tot. Ich sollte eigentlich auch tot sein. Wir haben die Pontonbrücke gesprengt. Im Morgengrauen, als sie am Ufer versteckt war, denn sie legten sie nachts über den Fluß. Nur ein Deutscher ist umgekommen, nur einer. Ich habe Durst …‹ Ich gab

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