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Tod in Florenz

Tod in Florenz

Titel: Tod in Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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weiterführen?‹ ›Ich bin noch nicht im Pensionsalter.‹ ›Aber lange dauert es nicht mehr. Und wer wird ihn dann übernehmen? Ihr Bruder hat außer Maria keine Kinder, von der Seite kommt also wohl niemand in Frage.‹ ›Ich habe meinen Enkel.‹ Darauf sagte ich gar nichts und sah ihn nur an. Ganz falsch war meine Einschätzung der Fähigkeiten seines Enkels nämlich nicht gewesen, und in dem folgenden, unbehaglichen Schweigen kratzte er sich am Kopf und sah sich stirnrunzelnd in seiner baufälligen Fabrik um.
    ›Er wird es lernen. Er muß es lernen. Er ist ein williger Junge, und ich habe ein paar gute, verläßliche Arbeiter, auf die er sich stützen kann.‹ ›Wenn sie bereit sind, für ihn zu arbeiten.‹ ›Das werden sie müssen. Er ist mein Erbe, wenn es soweit ist.‹ ›Er ist einer Ihrer Erben.‹ ›Also, Tina …‹ ›Ich hatte nicht an Tina gedacht.‹ ›Sie meinen das Kind in der Villa oben? Er ist nicht das Kind meines Sohnes, das wissen Sie.‹ ›Ich weiß es. Aber es könnte schwierig werden, das vor Gericht zu beweisen. Er ist als ein Moretti im Geburtenregister eingetragen.‹ ›Mein Junge war bereits tot, als diese Schweinehunde … was meinen Sie damit – vor Gericht?‹ ›Ich meine, wenn er nach Ihrem Tod ein Drittel Ihres Besitzes fordert.‹ ›Das kann er nicht!‹ ›O doch, kann er. Aber er muß nicht. Ihm gehört schon die Hälfte dieser Fabrik, die Hälfte, die Sie beim Tod Ihres Bruders, Marias Vater, stillschweigend übernommen haben.‹ Morettis Gesicht war aschfahl. Ich weiß bis heute nicht, ob er seine Unwissenheit nur vorgab und also genau wußte, wie die Dinge lagen, und glaubte, damit durchzukommen, oder ob er in gutem Glauben gehandelt hatte. Ich neige eigentlich eher zu letzterem, seiner Verwirrung nach zu urteilen.
    ›Aber Maria war doch verrückt, ich habe nie gedacht …‹ ›Nun, dann fangen Sie jetzt mit dem Denken an. Diesem Kind gehört die Hälfte Ihres Besitzes, und nach Ihrem Tod wird ihm mehr als die Hälfte gehören. Gleichzeitig ist es der einzige Mensch, der in der Lage sein dürfte, den Betrieb zu führen und so für Ihre beiden anderen Enkel zu sorgen, die es nicht können. Denken Sie darüber nach, Moretti, und lassen Sie mich bis Ende der Woche Ihre Antwort wissen.‹ ›Meine Antwort …?‹ ›Genau. Im Augenblick braucht das Kind ein Zuhause. Ich rate Ihnen, ihm hier bei sich ein Zuhause zu geben und es mit seinen Halbgeschwistern aufwachsen zu lassen. So wird es, wenn die Zeit kommt … Sie verstehen?‹ Als ich ging, war er wie gelähmt. Doch zum Ende der Woche wurde er endlich aktiv, und kurz darauf wurde der kleine Moretti ohne großes Aufhebens in die Familie aufgenommen. Ich fuhr ihn von der Villa in den Ort hinunter. Dabei mußte ich an das erste Mal denken, als ich ihn mitgenommen hatte; er war weiß und starr, und ich fühlte, wie er zitterte. Sein schwaches kleines Herz muß zum Zerspringen geklopft haben, aber er sagte kein Wort und vergoß keine Träne. Ich ließ ihn in der Küche stehen, derselben Küche, in der sein zerbrechliches Leben in einer Woge aus Blut und Wein, Angst und Chaos begonnen hatte. Niemand war da, um ihn zu begrüßen. Es war zwölf Uhr, und die beiden anderen Kinder waren noch in der Schule. Die Frau eines der Arbeiter von Moretti, die in der Nähe wohnte und jeden Tag kam, um ihnen Essen zu machen und die nötigsten Hausarbeiten zu erledigen, war noch nicht da. Moretti selbst war in seiner Fabrik beschäftigt. Ich hatte noch Besuche zu machen, und mir blieb nichts anderes übrig, als ihn dazulassen. Als letztes sah ich ihn mit kalkweißem, ausdruckslosem Gesicht auf einem hohen Küchenstuhl sitzen und ein kleines braunes Paket umklammern, das seine restlichen Kleidungsstücke enthielt.
    Ich habe nicht viel geschlafen in der Nacht, das kann ich Ihnen sagen. Ich mußte immer daran denken, wenn meine eigene kleine Tochter an seiner Stelle gewesen wäre … Erst jetzt, da ich meine Mission erfolgreich beendet hatte, überlegte ich, ob es überhaupt richtig gewesen sei, mich einzumischen. Meine Frau beruhigte mich dann, indem sie mich erinnerte, daß die Alternative das Waisenhaus war. Sie hatte natürlich recht, aber dennoch konnte ich nicht schlafen. Ich sah ihn weiter vor mir, wie er da ganz alleine saß, und ich überlegte, was wohl in seinem seltsamen, halberwachsenen Gehirn vorging.
    Eine ganze Zeit sah ich ihn nicht. Das nächste, was ich von ihm hörte, kam über die Frau, die dort im Haushalt half.

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