Tod in Florenz
Augen ›Happy birthday to you‹ zu singen und ließ die Kerzen dabei nicht aus den Augen, aber sein Gesichtausdruck war so ernst wie immer.
Nach einigen weiteren Ausfahrten gewöhnte er sich an das Auto und die belebten Straßen, aber es war, glaube ich, nie mehr als ein Spektakel für ihn. Seine eigentliche Welt waren die Villa und ihre Bewohner, selbst wenn er andere Kinder sah, betrachtete er sie nicht als seinesgleichen. Ich erinnere mich, daß ich ihn einmal im Auto gelassen hatte, während ich eine alte Dame in der Via Gramsci besuchte, und als ich wiederkam, drückte er sich die Nase an der Scheibe platt und sah angespannt nach draußen. Ich folgte seinem Blick und sah, daß es eine Gruppe von Müttern und Kindern auf einem kleinen Spielplatz gegenüber war. Es ist nicht mehr als ein Rasenstück mit ein paar Bänken und einem Karussell, aber es schien mir ein gutes Zeichen, daß er Interesse daran hatte, und so schlug ich vor, hinüberzugehen und sich die Sache näher anzusehen. Er kam schweigend mit, stand da und schaute über die niedrige Hecke, die den Rasen umgab.
›Willst du reingehen?‹ Er schüttelte den Kopf, schien aber ganz zufrieden damit, die Szene weiter zu beobachten. Erst jetzt sah ich, daß sein Halbbruder und seine Halbschwester da auf dem Karussell spielten. Ich schaute herum und entdeckte die alte Signora Moretti. Auch sie sah mich sehr wohl, wandte aber den Kopf ab. Wir blieben noch ein Weilchen stehen, und ich hoffte halb, sie würde vielleicht herüberkommen oder zumindest unsere Gegenwart zur Kenntnis nehmen, aber sie tat nichts dergleichen. Ich sah mir ihre beiden Enkel an. Ich wußte wenig von ihnen, da die Familie nach meiner Rückkehr in die Stadt nicht wieder als Patienten zu mir gekommen war. Der Junge – Beppe wurde er genannt – wirkte langsam und schwerfällig und hatte ziemlich unkoordinierte Bewegungen. Tina war für ihr Alter überentwickelt und sah Maria viel zu ähnlich, um mich zu beruhigen. Ich schaute auf den kleinen Moretti herunter mit seinem entschlossenen, schmalen Gesicht und den intelligenten, erwachsenen Augen, und mir ging der Gedanke durch den Kopf, daß sie ihn womöglich ebenso brauchten wie er sie, wenn nicht sogar noch mehr. Und das erwies sich als richtig. Da trat er stirnrunzelnd von der niedrigen Hecke zurück.
›Ich muß gehen.‹ ›Gefällt es dir hier nicht?‹ ›Ich muß Tanza helfen.‹ Er wußte instinktiv immer, wie spät es war. Es war kurz vor sechs, und um diese Zeit ging er immer in die Küche, um Constanza bei den Vorbereitungen zum Abendessen für die Patienten zu helfen.
Als wir losfuhren, war ich sehr nachdenklich. Ich hatte das Gefühl, eine Gesprächsgrundlage gefunden zu haben, zumindest soweit es den alten Moretti betraf, aber solange seine Frau mir Steine in den Weg legte, wußte ich, daß ich nichts erreichen würde. Ich war natürlich schon bei ihnen gewesen, hatte aber keinen Erfolg. Der alte Moretti war, obgleich er den Verlust seines Sohnes beklagte, nicht so verbittert darüber, er nahm es als Fügung des Schicksals.
›Was geschehen ist, ist geschehen‹, war mehr oder weniger seine Haltung, und er hatte nichts gegen das Kind. Aber er wußte, wie seine Frau empfand, und hatte nicht vor, mir zu helfen und sich dadurch Ärger mit ihr einzuhandeln. Ich konnte es ihm nicht verdenken, sowenig wie ihr, daß sie sich gegen mich stellte. Während meines Umstimmungsversuches hatte sie in einem kurzen, heftigen Wutausbruch offenbart, daß einer der SS-Leute in jener Nacht rötliches Haar gehabt hatte wie das Kind. Vielleicht meinte sie, sich auf diese Weise rächen zu können, wer weiß?
Jedenfalls hatte ich an dem Tag auf der Rückfahrt zur Villa das Gefühl, daß ich nur etwas erreichen könnte, wenn sich durch irgendein Ereignis die Situation entspannte. Ich brauchte etwas Glück. Vielleicht könnte man sagen, daß es mir zuteil wurde, wenn auch nicht so, wie ich es erwartet, und ganz sicher nicht, wie ich es erhofft hatte. Knapp zwei Wochen später starb Signora Moretti an einem Schlaganfall.
Ich mußte rasch handeln, denn die Zeit lief aus. Sobald es nach der Beerdigung schicklicherweise möglich war, ging ich zu Moretti. Er wußte natürlich, warum ich kam. Was er nicht wußte: Ich hatte in der Zwischenzeit in aller Stille einige Ermittlungen angestellt und ein As im Ärmel.
›Ist es wegen des Kindes?‹ ›Es geht um alle drei Kinder und um Sie selbst. Wie lange wollen Sie Ihren Betrieb noch allein
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