Tod in Florenz
Ich war erleichtert, als ich merkte, daß sie allmählich Zuneigung zu ihm faßte.
›Eigenartiger, kleiner Kerl, soviel steht fest‹, meinte sie, ›aber ein Arbeiter, das muß ich ihm lassen. Ich nenne ihn meinen kleinen Helfer. Er hat es übernommen, sich um die beiden anderen – die, unter uns gesagt, nicht ganz so sind, wie sie sein sollten – zu kümmern wie eine Mischung aus Wachhund und Kindermädchen. Ein komischer Anblick, kann ich Ihnen sagen, er so klein gegen diese beiden großen, ungeschickten Kreaturen, die so hilflos sind wie am Tag ihrer Geburt. Genau wie die Mutter, die verrückte Maria – sie ist gestorben, haben Sie es gehört? Nur ein paar Tage, nachdem man sie aus der Villa verlegt hatte. Schock, wenn Sie mich fragen, nach all den Jahren.‹ Nun, wie ich den kleinen Moretti kannte, hätte ich mir denken können, daß sich die Dinge so entwickeln würden. Dummerweise lief es in der Schule ganz anders. Ich sah ihn eines Tages auf dem Schulhof, als ich vorbeiging. Er stand allein an die Mauer gelehnt und sah zu, wie die anderen herumrannten, genau wie er damals auf dem Spielplatz zugesehen hatte. Er sah verloren aus, aber möglicherweise war er gar nicht unglücklich. Er wußte nicht, wie man spielte, und vielleicht war es zu spät für ihn, es zu lernen. Ich beschloß, mir das nächste Mal, wenn ich vorbeikam, die Zeit zu nehmen und mich bei seiner Lehrerin nach ihm zu erkundigen.
Die Auskünfte, die ich da erhielt, waren alles andere als erfreulich. Angeblich war er ein ewiger Störenfried. Ich muß sagen, daß mich das überraschte. Ich hatte erwartet, daß sie ihn als in sich gekehrt beschreiben würde, ein Kind, das keinen Kontakt zu den andern Kindern sucht und so weiter, aber nicht das. Doch der Junge war seinen Mitschülern so fern, daß er oft während des Unterrichts aufstand, zum Fenster ging und hinausstarrte oder aus dem Klassenzimmer gehen wollte. Es war eindeutig, daß er es nicht böse meinte, aber er war völlig unkontrollierbar, und die anderen Kinder benutzten ihn natürlich als willkommene Ablenkung. Er lernte nichts, und offenbar betrachtete die Lehrerin ihn als zurückgeblieben und wäre froh gewesen, ihn loszuwerden. Ich fragte sie, ob er von den anderen Kindern belästigt würde, da er so klein für sein Alter war. Die Frage schien ihr peinlich zu sein. Auf dem Schulhof war es zu einer Reihe von Zwischenfällen gekommen.
›Sie haben herausgefunden, wer er ist, wissen Sie …‹ ›Was meinen Sie mit ’wer er ist’?‹ ›Daß er Deutscher ist. Erst haben sie nur um ihn herumgestanden und ihn verspottet, dann fingen sie an, ihn zu schlagen. Er hat nicht reagiert, sich nicht verteidigt und es niemandem gesagt.‹ ›Er hat es niemandem gesagt? Aber es muß doch eine Aufsicht dabeigewesen sein.‹ Damit schien ich einen wunden Punkt getroffen zu haben. Sie sagte nur: ›Es gibt viele Leute hier, die für Deutsche nichts übrig haben.‹ ›Es ist also nichts dagegen unternommen worden? Wann haben Sie es gemerkt?‹ ›Als die Pausenaufsicht zu mir kam und sich über Morettis älteren Bruder beschwert hat – seinen Halbbruder, sollte ich wohl eher sagen. Er hatte zwei Jungen verprügelt. Wie sich herausstellte, hatten sie seinen Bruder angegriffen. Die Aufsicht konnte ihn nicht stoppen und mußte Hilfe holen. Beppone, wie ihn alle nennen, ist riesig für sein Alter und stark wie ein Ochse, aber er ist langsam und normalerweise gutwillig und macht nie Ärger. Aber trotzdem war er außer sich vor Wut, und die Aufsicht hatte richtiggehend Angst.‹ ›Nun, zumindest haben wahrscheinlich dadurch für den kleinen Moretti die Belästigungen aufgehört.‹ ›Ich nehme es an. Aber irgendwie geht von diesem Kind immer Ärger aus, und er lernt hier nichts.‹ Ich muß zugeben, der Gedanke, daß Moretti von seinem Halbbruder, diesem Riesenkerl, verteidigt wurde, gefiel mir irgendwie. Immerhin war es ein Zeichen dafür, daß er Teil der Familie geworden war. Aber es besteht kein Zweifel daran, daß Moretti im Lauf der Jahre immer wieder ihn verteidigt hat. Er ist ein armes, unbedarftes Geschöpf und wurde ständig geneckt. Man kann ihm jeden Bären aufbinden, und die Leute machen gern einen billigen Scherz auf seine Kosten.
Es war dennoch enttäuschend, zu erfahren, daß der kleine Moretti in der Schule nichts lernte, denn ich war überzeugt davon, daß er mehr als nur durchschnittlich intelligent war.
Allerdings dauerte es nicht lange, bis er eines gelernt hatte, daß er
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