Tod in Florenz
häufiger einzuladen.«
»Ihre Worte waren, ich zitiere: ›Ich gehe zu meinem Bruder, ich darf mit ihm reden.‹«
»Ich habe Ihnen doch gesagt, meine Schwester ist nicht ganz normal.«
»Viele andere Dinge, die sie uns erzählt hat, haben sich als wahr herausgestellt.«
»Da kann ich nichts machen. Sie setzt nie einen Fuß in meine Wohnung, außer zweimal im Jahr. Sie können meine Frau fragen.«
»Gut, sie kommt also nicht in Ihre Wohnung. Kommt sie denn in die Fabrik hinüber, um Sie zu besuchen?«
»Donnerstagabend, wenn ihr Mann zum Billard geht? Ich mache meine Arbeit zu Ende und gehe um sechs oder spätestens halb sieben. Jeder von meinen Leuten kann das bestätigen.«
»Wie ist es dann mit etwas, das Ihre Leute nicht bestätigen können? Am Tag, als das Mädchen ermordet wurde, sind Sie nach dem Mittagessen mit Ihren Kunden zur Fabrik zurückgefahren.«
»Ich bin nach Hause gegangen.«
»Sie sind nach Hause gegangen, aber zuerst in die Fabrik zurück, um entweder Ihr eigenes Auto zu holen oder Ihre Kunden zu deren Auto zurückzubringen. Welches von beidem, wissen wir noch nicht, aber morgen, wenn wir mit Ihren Kunden telefoniert haben, werden wir es wissen.«
»Das heißt nicht, daß ich reingegangen bin.«
»Wessen Auto haben Sie geholt?«
»Meins.«
»Das Mädchen war allein und hat gearbeitet. Sie hatte auch gerade etwas gegessen, wie die Autopsie ergeben hat, ihre letzte Mahlzeit, ein Sandwich. Wußten Sie, daß sie da drinnen war?«
»Nein!«
»Ich glaube, Sie wußten es. Ich glaube, Sie waren am Freitag davor bei Berti drüben, und daher hat sie gewußt, daß Sie brennen wollten. Sie wußte es vorher, denn sie ist aus dem Bus gestiegen und direkt zu Ihnen gegangen, ohne zu warten, bis Berti auftauchte. Sie muß es gewußt haben.«
»Wenn sie es vorher gewußt hat, dann muß Berti es ihr gesagt haben.«
»Jemand muß es ihm gesagt haben. Wie ich höre, brennen Sie seine Sachen.«
»Ja.«
»Wer hat ihm dann gesagt, daß Sie brennen wollen?«
»Das kann jeder gewesen sein! Und jeder hätte in meine Fabrik gehen und das Mädchen umbringen können. Jeder! Es ist nie abgeschlossen!«
Es gab ein leises Rascheln in der Nähe des Gummibaums, als der Maresciallo aufstand, aber keiner merkte es. Erst eine halbe Stunde später, nachdem der herbeigeeilte Stellvertreter des Staatsanwalts einen Haftbefehl ausgestellt und man Moretti Handschellen angelegt hatte, sah der Capitano sich suchend um, riß die Tür auf und rief den Gang hinunter: »Wo zum Teufel ist Guarnaccia?«
9
»Der Bericht ist fertig, Capitano.« Der junge Mann an der Tür war außer Atem, als sei er gerannt, statt schnell zu tippen.
»Danke – nein, nein, bringen Sie ihn Maresciallo Niccolini zur Unterschrift.«
»Er ist unten, Capitano, und versucht, die Menge draußen zu beruhigen.«
»Dann warten Sie, bis er wieder heraufkommt.« Maestrangelo wandte sich wieder dem Staatsanwalt- Stellvertreter zu. »Was meinen Sie dazu?«
»Sein Anwalt ist kein Narr. Wir sollten ihn wohl bis auf weiteres unter Hausarrest stellen. Weiter würde ich nicht gehen, bis Sie mehr Beweise haben. Und dieser andere – wie heißt er noch?«
»Moretti.«
»Hm. Sind Sie sich Ihrer Sache da ganz sicher?«
»Die Beweise sind größtenteils Indizienbeweise, aber in beiden Anklagepunkten hat er praktisch gestanden, ein Teilgeständnis. Mit etwas Zeit …«
»Dann behalten Sie ihn achtundvierzig Stunden hier, und entscheiden Sie, aufgrund welcher Anklage Sie ihn verhaften wollen. Ich habe den Brennofen versiegeln lassen, und die Techniker holen morgen die Reste des Geldes, obwohl ich annehme, daß man die Scheine nicht zurückverfolgen kann – «
»Entschuldigen Sie, bitte!« Diesmal war der Junge wirklich gerannt.
»Was ist?«
»Maresciallo Niccolini braucht uns unten. Er versucht, die Piazza zu räumen, aber es gibt Schwierigkeiten.«
»Dann gehen Sie alle runter, nur der Funker nicht, er soll die Motorradstreife rufen.« Er folgte dem Jungen in den Gang. »Und sagen Sie Maresciallo Niccolini, daß der Vertreter des Staatsanwalts noch mit ihm sprechen möchte, bevor er geht.«
Dann sah er Guarnaccia. Der war eben hereingekommen, hatte einen Hauch kalter Luft mitgebracht, und stand nun da, in der Hand seine Mütze, die ebenso wie die Schultern seines schwarzen Uniformmantels mit feinen Eispartikeln bedeckt war.
»Wo zum Henker waren Sie?« fragte der Capitano gereizt und leise, damit der Vize des Staatsanwalts es nicht hörte.
»Ich mußte
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