Tod in Florenz
Beppones breite Schulter. »Das wird sich alles klären. Aber erst gehen wir zu Ihrem Bruder.«
Der schwere Körper verströmte einen ekelerregenden Geruch, eine Mischung aus Schweiß und Ton. Unter der Decke lugte die Ecke einer Zeitschrift hervor. Guarnaccia erriet auch so, was es war.
»Ihre Schwester kommt Sie hier besuchen, nicht?«
»Sie kommt, um mit mir zu reden.«
»Und sie bringt Ihnen diese Zeitschriften.«
»Die kriegt sie von Berti. Er …«
»Was ist mit ihm?«
»Er hat gesagt, das Mädchen würde … Er hat gesagt, daß sie es mit jedem macht, aber daß sie mich gern hat.«
»Sind Sie oft rübergegangen zu Berti, um das Mädchen zu sehen?«
»Sie hat mich immer angelächelt. Sie hat gern mit mir geredet, und Berti hat … er hat mir Sachen erzählt, die er mit ihr gemacht hat, da drüben, in seinem Studio.«
»Er hat gelogen, Moretti. Verstehen Sie? Er wollte Sie nur auf den Arm nehmen.«
»Nein, das ist nicht wahr. Sie war dabei und hat zugehört.«
»Aber sie hat nicht verstanden, was er gesagt hat.«
»Die Sachen, die er gesagt hat –«
»Sie hat es nicht verstanden. Sie war Ausländerin und hat nicht alles verstanden, was gesagt wurde.«
Der Maresciallo registrierte dankbar, daß Beppe wie unbewußt angefangen hatte, an seinem Kleiderstapel herumzufingern.
»Sie hat mich gern gehabt, warum hat sie dann … Berti hat gesagt, daß sie zu mir kommt, und sie ist gekommen.«
»Sie ist zum Arbeiten gekommen, Moretti, das ist alles. Berti hat Ihnen einen Bären aufgebunden.«
»Sie verstehen nicht. Sie hatte mich gern. Ich habe ihr gesagt, daß sie ihre Sandwiches hier drin essen kann. Ich habe ihr Kaffee gekocht. Wenn sie es mit allen gemacht hat, warum dann nicht mit mir? Ich wollte ihr nicht weh tun, ich wollte sie nur ruhighalten. Es war nicht meine Schuld, Sie können meinen Bruder fragen. Ich wollte es keinem erzählen. Niemand hätte es gewußt, aber dann ist mein Bruder zurückgekommen und hat gesehen, daß … Er war wütend. Er hat gesagt, was geschehen ist, ist geschehen, und mich zu sich nach Hause mitgenommen. Er weiß, daß ich ihr nicht weh tun wollte, Sie können ihn fragen.«
»Das tue ich, wir reden mit Ihrem Bruder.«
»Er hat immer gesagt, daß er eine für mich findet. Er hat jemand für Tina gefunden. Ich wollte jemanden für mich.«
»Ziehen Sie Ihre Schuhe an, und nehmen Sie die Mütze mit – es ist kalt.«
Warum eigentlich minderte das Fehlen des einen Schnürsenkels die Angst des Maresciallo und erregte sein Mitgefühl? Um so mehr, weil er wußte, daß man ihm auf jeden Fall auch den zweiten bald wegnehmen würde.
»Nehmen Sie Ihre Zigaretten mit.«
Eine Art tierische Verschlagenheit flackerte kurz in Beppones Augen.
»Aber Sie bringen mich doch bald zurück!«
»Natürlich. Aber vielleicht wollen Sie ja rauchen, während wir uns unterhalten.«
Das Gesicht nahm wieder den fügsamen, stumpfen Ausdruck von vorher an. Dem Maresciallo wurde das Herz schwer bei dem Gedanken an dieses stumpfsinnige Wesen, an die Leiche eines hübschen Mädchens, zerschunden und besudelt unter einem Haufen Tonscherben, an den zerbrechlichen, ungestümen kleinen Moretti, den ein Krieg, der ihn nichts anging, in diese Lage gebracht hatte.
»Gehen wir.«
Er sah, wie Beppe einen zerschlissenen Vorhang beiseite zog, hinter dem sich der Hintereingang verbarg, und hielt ihn zurück.
»Wir müssen durch die Fabrik, ich habe überall Licht brennen lassen.« Er ging voraus durch den gefliesten Gang. Sie standen am Fuß der Treppe, und er hatte eben das Licht ausgemacht, als die Schritte hinter ihm innehielten. Er blieb erstarrt stehen und merkte, wie ihm die Kopfhaut unter seiner Mütze prickelte.
»Was ist los?«
»Sie wollen mich doch nicht in der Villa einsperren?«
»Wir wollen nur mit Ihrem Bruder reden.«
»Weil nämlich, als ich Sestini mal geschlagen habe – da hat mein Bruder das gesagt, er hat gesagt, es war nicht meine Schuld, und daß er dafür sorgt, daß sie mich nicht mehr ärgern, aber wenn ich jemand etwas tue, sperren sie mich in der Villa ein!«
»Keine Sorge, niemand wird Ihnen etwas tun.« Er ging langsam weiter, und die Schritte folgten ihm. Sie hatten den Raum mit den Töpferscheiben gerade hinter sich und waren im Dunkeln, als das Geheul einer nahenden Sirene dem Maresciallo Gefahr ankündigte. Er drehte sich um, wollte seinen Mann vor sich bringen und gleichzeitig eine wachsame Hand an die Beretta in ihrem Halfter legen, aber noch ehe er seinen
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