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Tod in Marseille

Tod in Marseille

Titel: Tod in Marseille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Gercke
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entschuldigen, er hat heute Geburtstag, deshalb ist er verhindert. Sein Stellvertreter wird ein paar Worte sagen.
    Bellas Blick fiel auf den hochgewachsenen, blonden Hamburger Bürgermeister, neben ihm stand ein kleiner Mann mit dunklen Haaren.
    Unserer ist bekannt dafür, dass er wenig Worte macht, flüsterte Bella zurück. Man weiß nicht genau, ob das so ist, weil ihm nicht mehr einfällt oder weil er lange Ansprachen hasst. Jedenfalls wird der offizielle Teil mit ihm nicht viel Zeit in Anspruch nehmen.
    Die Ansprachen der beiden Redner waren tatsächlich erfreulich kurz. Ein kleines Rahmenprogramm begann, für das offensichtlich die Hamburger verantwortlich waren. Eine Gruppe von jugendlichen Immigranten, die in Hamburg lebten – wie Bella später erfuhr, waren einige von ihnen nur geduldet –, führte Lieder und Tänze vor.
    In Hamburg werden regelmäßig Menschen, auch junge Menschen, brutal abgeschoben, sagte Bella, diesmal nicht mehr leise. Und hier lässt der Hamburger Bürgermeister, der dafür verantwortlich ist, seine Weltoffenheit feiern. Ich leg meine Hand nicht dafür ins Feuer, dass von denen, die heute tanzen, in sechs Wochen noch alle da sind.
    Aus einer Gruppe von Frauen, die neben dem Männerchor standen, trafen sie giftige Blicke. Grimaud legte begütigend seine Hand auf ihren Arm und schob sie sachte zur gegenüberliegenden Seite des Saals. Da waren Türen, durch die sie auf eine breite, vor dem Saal gelegene Terrasse gelangen konnten. Als sie eine der Türen beinahe erreicht hatten und Bella sich noch einmal umsah, blieb sie überrascht stehen. Nur wenige Meter von ihr entfernt, umringt von einer Gruppe eifrig diskutierender Männer, stand Gerd-Omme Nissen. Ihre Blicke kreuzten sich kurz, bevor Nissen sich wieder seinen Gesprächspartnern zuwandte. Bella war nicht sicher, ob er sie erkannt hatte.
    Sie ging weiter, erreichte die Terrasse und befand sich so plötzlich unter dem Sternenhimmel von Marseille und über den Lichtern des Alten Hafens, dass es ihr den Atem verschlug.
    Stumm und bewundernd blieb sie an der Brüstung der Terrasse stehen. Grimaud neben ihr beobachtete sie.
    Ich hole uns was zu trinken, sagte er schließlich.
    Er verschwand, und Bella war allein zwischen Menschen, die entweder vor den Hymnen und den Ansprachen geflohen waren oder auf der Terrasse rauchen wollten.
    Ich sage euch, das Schlimmste kommt noch, hörte sie einen Mann in einer kleinen Gruppe neben sich sagen.
    Und was soll das sein? Schlimmer als »Heil«?
    Ihr werdet es erleben. Es geht gleich los.
    Aus dem Gespräch, das sich anderen Dingen zuwandte, entnahm Bella, dass es sich um Hamburger handelte, die zur Organisationsgruppe des Senats gehörten. Sie wandte sich ab und blickte durch die Glasscheiben, die an dieser Seite des Saals durchsichtig waren, auf die Versammlung im Innern. DieGruppe um Nissen war noch etwas größer geworden. Am Rand standen jetzt ein paar Damen, die aber nicht in das Gespräch einbezogen wurden. Nissen war noch immer der Mittelpunkt. Er wirkte auf Bella weit weniger gelassen als bei ihrer letzten Begegnung. Er gestikulierte heftig, unterbrach seine Gesprächspartner, lachte laut. Von hanseatischer Zurückhaltung war wenig zu sehen. Dann sah sie Grimaud, der, zwei Gläser in der Hand haltend, auf die Gruppe zuging und sie so weit umrundete, dass Nissen ihn sehen musste. An der Art, wie Nissen, mitten im Gespräch, die erhobenen Hände einen Augenblick lang still in der Luft hielt, konnte sie feststellen, dass Grimauds Manöver geklappt hatte. Sie sah, wie er Nissen kurz zunickte, mit dem Kopf zur Ausgangstür zeigte und sich dann abwandte. Wenig später stand er vor Bella und reichte ihr ein Glas Rosé.
    Gefällt Ihnen unser Sternenhimmel?
    Ich bin froh, dass ich mitgekommen bin. Es ist unglaublich schön hier, antwortete Bella.
    Nein, oh nein, rief jemand aus der Gruppe der Hamburger neben ihnen laut. Ich hab’s euch gesagt. Es wird fürchterlich.  
    Im gleichen Augenblick waren Männerstimmen zu hören. Bella sah durch die Fenster eine Truppe älterer Männer, die Schiffermützen, rote Halstücher und blau-weiß gestreifte Kittel trugen. Sie sangen aus voller Kehle:
    An de Eck steiht ’n Jung mit ’n Tüddelband.
    Was ist das?, fragte Grimaud leicht irritiert.
    Oh, sagte Bella, das sind nur Hamburger Seeleute, die wollen ein Stück Hamburger Kultur nach Marseille bringen.
    So laufen Seeleute bei Ihnen herum?
    Ja, sagte Bella, vor hundert Jahren vielleicht. Aber dann wohl auch

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