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Tod in Marseille

Tod in Marseille

Titel: Tod in Marseille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Gercke
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nur sonntags.
    Der Chor sang nun »Auf der Reeperbahn nachts um halb eins«.
    Die hören vorläufig nicht auf, sagte ein Mann aus der Gruppe der Organisatoren.
    Aber weshalb lasst ihr das zu?, fragte ein anderer.
    Es gab eine Diskussion, während der Chor »Ick hev mol ’n Hamborger Veermaster sehn« intonierte.
    Singen die deutsch?, fragte Grimaud und lächelte. Er fand die Singerei wohl komisch.
    Nach drei Liedern ist sicher Schluss, sagte Bella.
    Das glauben Sie, sagte der Mann aus der Gruppe der Organisatoren. Wenn die erst mal angefangen haben, hören sie nicht mehr auf.
    Der Chor der Seeleute sang nun:
    La Paloma, ohe, einmal muss es vorbei sein …
    Schön wär’s, hörte Bella den Mann neben sich seufzen. Eine Dame in seiner Begleitung erklärte: Die Menschen, die nach jedem Lied klatschen, das sind die Ehefrauen. Solange die klatschen, ist die Vorstellung nicht zu Ende.
    Wollen Sie mich bitte einen Augenblick entschuldigen, sagte Grimaud neben ihr leise. Ich mache einen kurzen Rundgang durch das Haus und bin gleich wieder bei Ihnen.
    Gefällt Ihnen der Gesang unserer Seeleute nicht?, fragte Bella.
    Grimaud entfernte sich lächelnd. Der Chor stimmte »Alle, die mit uns auf Kaperfahrt fahren« an. Bella folgte Grimaud mit den Augen. Er verließ den Saal. Beim Hinausgehen hätte er an Nissen vorbeikommen müssen. Aber Nissen war nicht mehr da. Die Gruppe, die um ihn gewesen war, hatte sich aufgelöst.
    Bella stellte ihr Glas auf der Brüstung ab, überquerte die Terrasse und betrat den Festsaal. Der Chor begann, »Wo die Nordseewellen schlagen an den Strand« zu singen. Der immer schwächer zu hörende Gesang folgte ihr noch eine Weile.
    Sie hätte – aus reiner Neugier – gern gewusst, was Grimaudund Nissen miteinander zu besprechen hatten. Aber sie fand die beiden nicht. Das Haus war einfach zu weitläufig. Ein paarmal wurde sie von Sicherheitsleuten angehalten, die sich anboten, ihr den richtigen Weg in den Festsaal zu zeigen. Schließlich gab sie auf und ging zurück. Als sie die Terrasse erreicht hatte, stimmte der Chor wieder »La Paloma, ohe« an.
    Hatten wir dies Lied nicht schon?, fragte Bella den Mann aus der Organisationsgruppe.
    Natürlich, seufzte der, aber die Ehefrauen haben so lange geklatscht, bis sie beschlossen, es noch einmal zu singen.
    Bella war im Begriff zu gehen, als Grimaud doch wieder auftauchte. Die Männer sangen gerade »Auf einem Baum ein Kuckuck saß«, und sie hob entschuldigend die Schultern.
    Es tut mir leid, hat ein bisschen länger gedauert, als ich wollte, sagte er. Es ist einfach so: Meine Leute sind gut, wenn sie ausführen, was man ihnen aufträgt, wenn sie aber vor eine Situation gestellt sind, in der sie selbst entscheiden müssen und das auch noch schnell, dann sind sie unsicher.
    Ist etwas passiert?, fragte Bella.
    Nein, überhaupt nicht, alles in Ordnung. Der Hamburger wollte nur das Programm geändert haben, nächtliche Fahrt zum Château d If, irgendetwas Romantisches, aber diese Route war in puncto Sicherheit nicht durchgesprochen. Es ist aber alles geklärt. Der Abend gehört uns. Wollen wir gehen?
    Das Leben war einfach und schön. Auch der Tod gehörte zum Leben, und es war nicht vermessen, zu denken, dass das Leben auch wegen des Todes schön war.
    Sie waren zu Fuß in die Stadt zurückgegangen, vorbei an glitzerndem Wasser, leise schaukelnden Jachten, unter einem prächtigen Mond und ohne viel zu reden. Grimaud hatte sie nichts gefragt, und sie hatte sich seiner Führung überlassen. So waren sie, noch immer ohne Worte, aber von einer leisen Erregung ergriffen, die steinernen Stufen zu seiner Wohnung emporgestiegen, hatten, auf der Terrasse stehend, über die Dächer von Marseille geschaut, die im Mondlicht eine bizarre Landschaft bildeten, sich einander zugewandt und das Verlangen in den Augen des anderen erkannt. Das alles ohne Worte, einfach und schön.
    Später, die Sonne ging noch nicht auf, aber am Horizont zeigte sich schon eine unbestimmte Ahnung von Sonnenaufgang, hatte Grimaud einen Ofen auf der Terrasse in Gang gesetzt, Spiegeleier gebraten, Champagner eingeschenkt. Sie hatten in Bademänteln da gesessen und getrunken, dem Sonnenaufgang zugesehen und waren schlafen gegangen. Als sie aufwachte, war Grimaud nicht mehr da. Alles war einfach gewesen, leicht, selbstverständlich.
    Bella ging im Bademantel auf die Terrasse. Dort stand eine Thermoskanne auf dem Tisch. Unter dem Becher lag ein Zettel: Leider ist heute kein Sonntag. Ich danke dir

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