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Tod in Marseille

Tod in Marseille

Titel: Tod in Marseille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Gercke
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nach bestem Wissen und Gewissen geschadet hat.
    Prostitution ist Erniedrigung. Eine Gesellschaft, die zulässt, dass ein Teil ihrer Mitglieder, nicht zufällig meistens weiblich, erniedrigt werden kann oder sich erniedrigen lässt, ist verkommen. Eine Gesellschaft, die Erniedrigung zum Beruf macht, ist am Ende, selbst mit Sozialversicherung. So eine Gesellschaft hat jeglichen ernsthaften Versuch, die Unterdrückung des Menschen durch den Menschen aufzuheben, endgültig zu den Akten gelegt.
    Du lieber Himmel, Bella! Du bist grandios! Du kannst dich sogar in Rage denken! Mach Schluss! Wodka wäre jetzt gut, ein Wodka mit Orangensaft, und dann dieses Gedicht von Brecht, wie heißt es nur, verflixt, ja:
    Ich bin ein Dreck. Von mir
    Kann ich nichts verlangen als
    Schwäche, Verrat und Verkommenheit
    Aber eines Tages merke ich:
    Es wird besser; der Wind
    Geht in mein Segel; meine Zeit ist gekommen, ich kann
    Besser werden als ein Dreck –
    Ich habe sofort angefangen.
    Weil ich ein Dreck war, merkte ich
    Wenn ich betrunken bin, lege ich mich
    Einfach hin und weiß nicht
    Wer über mich geht; jetzt trinke ich nicht mehr –
    Ich habe es sofort unterlassen.
    (…)
    Ich bin ein Dreck; aber es müssen
    Alle Dinge mir zum besten dienen, ich
    Komme herauf, ich bin
    Unvermeidlich, das Geschlecht von morgen
    Bald schon kein Dreck mehr, sondern
    Der harte Mörtel, aus dem
    Die Städte gebaut sind.
    Grimaud würde am Abend erst kurz vor dem Beginn der Festveranstaltung erscheinen, um sie abzuholen. Das war gut so, denn in der Straße vor dem Hotel, in der Rue des Petites Maries, hatte sie tatsächlich eine Bar gefunden, deren Besitzer Wodka mit Orangensaft ausschenkte, wenn auch von kritischen Blicken begleitet. Je länger sie dort gesessen und versucht hatte, in Grimauds Verhalten einen Sinn zu erkennen, desto weniger war ihr das gelungen. Schließlich verstand sie, dass sie im Begriff war, sich zu betrinken, und sie verließ die Bar. Bevor sie sich im Hotel hinlegte, um zu schlafen, waren ihr zwei Dinge durch den Kopf gegangen: nämlich, dass Grimaud ihr eigentlichegal sein könnte und dass sie ihn genauer beobachten müsste, wenn sie herausfinden wollte, welches die Gründe für sein Verhalten waren.
    Aber beides zusammen geht nicht, war der letzte Gedanke gewesen, den sie vor dem Einschlafen im Kopf gehabt hatte.
    Sie war erst gegen sieben Uhr am Abend wach geworden, hatte sich gut ausgeruht gefühlt, einen Kaffee bestellt und die Zeit bis zur Ankunft von Grimaud genutzt, um sich für den Abend herzurichten. Sie fand das Ergebnis passabel. Auch Grimaud schien beeindruckt.
    Sie werden heute Abend Aufsehen erregen, sagte er. Ich kenne diese Veranstaltungen. Es wird zwar ein Jubiläum gefeiert, aber deshalb wird es dort nicht eleganter zugehen als sonst. Die Frauen unserer Offiziellen erscheinen bei solchen Anlässen schon lange nicht mehr. Sie langweilen sich zu sehr. Und in der Abordnung Ihrer Landsleute sind offenbar seit einiger Zeit ebenfalls kaum noch Frauen …
    Als Bella und Grimaud den Palais du Pharo betraten – man ging durch eine tiefgelegene, weite untere Etage, vorbei an leeren Garderoben, stieg breite Treppen hinauf und erreichte einen Gang, der zum Festsaal führte –, hörten sie die letzten Töne der deutschen Nationalhymne.
    Du lieber Himmel, sagte Bella. Das hätten Sie mir sagen müssen. Lassen Sie uns einen Augenblick warten.
    Es gab eine kleine Pause (anscheinend ist unsere Hymne schon vorüber, flüsterte Grimaud), dann setzten die kräftigen Stimmen eines Männerchores ein.
    Stadt Hamburg an der Elbe Auen,
    Wie bist du herrlich anzuschauen –
    Sie sangen mehrere Strophen und am Ende jeder Strophe aus vollen Männerkehlen:
    Heil über dir,
    Heil über dir, Hammonia,
    Oh, wie so prächtig stehst du da.
    Das »Heil« klang so inbrünstig, dass es auch in andere Zeiten gepasst hätte.
    Prächtig, flüsterte Bella, da hab ich anderes gesehen.
    Sie standen noch immer vor der Tür des Festsaals, und Grimaud nickte ihr zu, verständnisvoll, wie es schien. Auch ihn schien das laute »Heil«-Gebrüll gestört zu haben. Durch gelbes, undurchsichtiges Glas sahen sie auf die Gäste, die sich schemenhaft im Innern bewegten. Endlich war die Singerei beendet. Grimaud öffnete die Tür, und Bella betrat den Festsaal. Viele standen herum, einige Blicke trafen sie, an den Wänden waren Buffets aufgebaut, aber niemand aß.
    Sie warten auf die Ansprachen der Bürgermeister, flüsterte Grimaud. Unserer lässt sich

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