Tod in Wacken (German Edition)
Weg gewesen, wieder ein liebevolles Verhältnis aufzubauen.
Lyn starrte auf den Friedhof. Aus den Aufzeichnungen war es nicht ersichtlich, aber hatte Judith sich ihrer Mutter vielleicht doch anvertraut? Könnte Dagmar Meifart etwas mit den Morden zu tun haben? Rache nehmen an den Personen, deren Tat ihr die Tochter erneut und für immer genommen hatte?
Lyn klappte das Tagebuch zu. Morgen sollten sie umgehend eine Alibi-Abfrage durchführen. Und zwar nicht nur bei Dagmar Meifart, sondern auch bei deren Mann Knuth.
Mit dem Tagebuch auf dem Schoß blickte sie über die mit Begonien übersäten Gräber. Eine Auffälligkeit gab es noch. Ihre letzte – die schreckliche – Eintragung in das Tagebuch hatte Judith am Montag nach dem Festival gemacht. Warum erst am Montag und nicht am Sonntag?
Lyn gab sich selbst die Antwort. Natürlich hatte Judith nach dem Erlebten am Sonntag andere Gedanken gehabt, als sich um ihr Tagebuch zu kümmern. Erst am Montag war sie in der Lage gewesen, das Grauen niederzuschreiben. Lyn schüttelte sich. Die Vorstellung, Charlotte oder Sophie wären in Judiths Situation gewesen, bereitete ihr Gänsehaut.
Sie blätterte noch einmal zum vorletzten Eintrag zurück, datiert auf den Freitag des Festivals. Es war eine Kurz-Zusammenfassung der bisherigen Wacken-Erlebnisse mit Band-Namen, Songs und lustigen Begebenheiten, vermutlich rückwirkend geschrieben am Samstagnachmittag, bevor sie zum letzten Festivalbesuch aufgebrochen war. Dem Tag, auf den die schreckliche Nacht gefolgt war.
Sie schrak zusammen, als sich über ihr ein Fenster öffnete. Sophie lugte heraus. »Wird doch schon dunkel, Mama. Du kannst ja gar nichts mehr sehen.«
»Stimmt«, lachte Lyn und sammelte ihre Sachen zusammen. »Zeit fürs Bett. Ich habe ja leider keine Ferien … Willst du noch ’ne Runde kuscheln kommen, Krümelchen?«
»Oh ja! Aber ich liege auf deiner Seite. Nicht da, wo der … wo Hendrik immer liegt.«
ZEHN
Deutlich sah er das Gesicht vor sich, das er suchte, während er durch die schwarze Menge ging. Langsam. Aufmerksam.
Das Antlitz Andreas Stoblings hatte sich in sein Hirn gebrannt, hatte das andere Gesicht verdrängt. Das aus der Zeitung. Stefan K.
Ein Fehler. Nicht wiedergutzumachen.
Oder doch?
Stoblings Tod war ein Schritt zur Wiedergutmachung.
Tief atmend zog er das Käppi tiefer in die Stirn. Er legte keinen Wert darauf, jemanden zu treffen, der ihn kannte. Es würde zwar keine Rolle spielen. Niemand wusste etwas. Aber er wollte seine Ruhe. Konzentriert graste er das Areal ab. Die Chance, Stobling zu finden, war so unglaublich gering. Vielleicht war er gar nicht hier.
Vielleicht aber doch.
* * *
»Klasse, sie haben den Artikel noch mit reingenommen«, sagte Lyn, während sie nach der »Norddeutschen Rundschau« griff, die aufgeschlagen auf dem Besprechungszimmertisch lag. An ihrem Kaffee nippend, las sie den Artikel über die Mordwaffe und den damit in Zusammenhang stehenden Überfall auf den Juwelier.
»Unser Pressesprecher musste seinen ganzen Charme spielen lassen, damit die Redaktion die Druckfahne noch mal ändert«, nickte Hendrik. »Sonst wäre der Bericht erst morgen erschienen. Wobei das für mich keine Rolle gespielt hätte. Ich glaube nicht, dass uns die Leute mit Informationen bezüglich eines Raubüberfalls, der vor achtundzwanzig Jahren stattfand, mit Informationen überhäufen.«
»Ich denke, die Zeit spielt in diesem Fall für uns«, warf Hauptkommissar Aschbach ein, der in diesem Moment gemeinsam mit Wilfried Knebel den Raum betrat. »Nach einer so langen Zeit sind Mitwisser oder vielleicht sogar die Räuber selbst bereit, ihr Gewissen zu erleichtern.«
»Ihr Wort in Gottes Ohr«, sagte Lyn, die Hendriks Meinung dazu eher teilte.
»Moin!« Nacheinander traten Lukas und Jochen ein.
Lyn löste den Blick von dem Artikel erst, als ein rauchiges »Guten Morgen« ertönte.
»Karin! Schön, dass du wieder da bist.«
»Bei diesem Fall sind doch jedes Auge und jede Hand gefragt«, sagte Karin. »Da kann ich zu Hause nicht ruhig auf meinem Sofa liegen.«
»Wow!«, stieß Hendrik aus, »mit der Stimme könntest du beim Telefon-Sex mehr Kohle machen als hier.«
»Und was mache ich übermorgen, wenn meine Stimme wieder die alte ist?«, lachte Karin verrucht.
»Hat auch einer Lust zu arbeiten?«, quakte Jochen Berthold in die Gute-Laune-Atmosphäre. »Ich hab hier jede Menge Papierkram. All eure Alibi-Zeugen hab ich gestern abtelefoniert. Interessiert das hier
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