Tod in Wacken (German Edition)
klar?«
Lyn widerstand tapfer der Versuchung, seinen Arm abzuschütteln, trotz des Schweiß- und Alkoholdunstes, der ihn umgab. »Na klar, Kollege. Geh ruhig wieder feiern.« Sie freute sich, als Hendrik an der Reihe war, umarmt zu werden.
»Ihr sseid die Besten, ihr beid’n. Ihr sseid wunner- wunnerbare Kolleg’n. Das gansse K1 is wunnerbar. Bissauf den Blödmann. Den magssu auch nich, nich Lynni?«
Thilo machte Anstalten, sein Kuschelbedürfnis wieder an Lyn auszulassen.
»Jochen hat auch seine guten Seiten«, sagte sie schnell. »Und jetzt müssen wir wirklich weiter, Thilo. Dir noch viel Spaß mit deinen Kumpels. Die warten doch bestimmt schon auf dich?«
Wackelnd drehte er sich um und stierte in die Menge. »Yep. Da hinten ssinn ssie. Die wart’n auf mich. Schüs, ihr beid’n!« Er riss seinen Arm hoch. Mit Pommesgabel grölte er »Wackeeen!« und trollte sich.
Hendrik grinste Lyn an. »Du bezeichnest unseren Kollegen Jochen also als Blödmann.«
»Ich nicht. Thilo.«
»Thilo hat keinen Namen genannt.«
»Stimmt«, Lyn knuffte ihn in die Seite, »es gibt noch einen zweiten Blödmann.«
»Okay.« Hendrik wurde ernst und blickte auf seine Armbanduhr. »Lass uns an die Arbeit gehen. Wir treffen uns in zwei Stunden wieder hier. Und bitte keine Minute später. Ich hab nämlich noch eine Verabredung mit einer wunderschönen Lady, deren Dekolleté mich ziemlich heiß macht.« Sein Finger strich zart über ihren Brustansatz, während er sie küsste.
Verlegen zupfte Lyn das schwarze Shirt zurecht, als er ging. Sie hatte es aus Charlottes Schrank gemopst, und es war in der Tat ein wenig knapp. Sie sah Hendrik nach, der sich von der Seite her zu den Bühnen begab. Anscheinend wollte er das Feld von vorn angehen. Lyn verharrte noch einen Moment und lauschte der Musik.
Die in Tarnanzüge gehüllte Truppe röhrte auf der »True Metal Stage« den »Bogeyman«. Widerwillig musste Lyn sich eingestehen, dass die rauchig-harte, martialische Stimme des » U.D.O. «-Frontmanns den Schatten des »Bogeyman« anschaulich vor ihrem inneren Auge erstehen ließ.
Langsam ging sie schließlich am äußeren Mittelfeld hin und her und konzentrierte sich auf die Gesichter, die ihr von den Eingangsschleusen her entgegenkamen. Werner Schwedtke würde sie sofort erkennen. Das Foto von Andreas Stobling hatte sie sich mit Hendrik noch einmal angesehen, bevor sie das Gelände betreten hatten. Sie fragte sich, ob sie ihn tatsächlich in dieser Menge erkennen würde. Er hatte nichts Markantes an sich, und Allerweltsgesichter gab es zwischen all den skurrilen Typen zu Tausenden.
Lyn traute ihren Augen nicht, als eine Gruppe Rentner vor ihr auftauchte. Keiner der Senioren sah aus, als wäre er unter achtzig. Zwei der Frauen trugen Wacken-Shirts über ihren Strickjacken, ein Opa mit Handstock outete sich unter einer Steppweste als Scorpions-Fan. Alle paar Meter blieben sie stehen, weil sie von Metal-Fans angesprochen wurden. Aber die Senioren-Gang hatte auch keine Hemmungen, selbst auf die Fans zuzugehen. Neugierig die ungewohnten Eindrücke aufsaugend, spazierten sie an Lyn vorbei.
Lyn konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, als eine der Seniorinnen ihre Nachbarin anstupste und in feinstem Plattdeutsch grölte: »Kiek di dat an!« Ihre faltige, goldberingte Hand deutete auf einen schlanken, langhaarigen Typen, der mit dem Profil zu ihnen stand. »Is dat nu een Deern oder is dat een Kerl?«
Der lange schwarze Rock, den der Mann trug, verwirrte die Damen sichtlich. Da er andererseits mit nacktem Oberkörper dastand und seine Brust zwar haarlos, aber völlig platt war, schwankten sie in ihrer Meinung über das Geschlecht. Der Scorpions-Opa beendete die lebhafte Diskussion, indem er zu dem Jüngling tappte, ihm seinen Stock in den Rücken bohrte und ihn direkt ansprach.
Lyn hätte der Gruppe noch stundenlang zuhören können, aber das Vibrieren des Handys in ihrer Jeans holte sie in die berufliche Wirklichkeit zurück.
»Hallo?« Sie presste das Handy an ihr Ohr. Die weibliche Stimme war zu verstehen, allerdings schwer. »Frau Stobling?«, Lyn sprach laut und deutlich, »ich kann Sie kaum hören. Können wir uns irgendwo treffen? Ich befinde mich auch auf dem Gelände. … Ja, okay. Das finde ich wieder, da war ich schon. Bis gleich.«
Lyn ließ sich mit den Fans treiben, die das Infield verließen. Cornelia Stobling wollte auf dem Wackinger-Areal auf sie warten. Das »Wackinger Village« hatte Lyn bereits mit Hendrik besichtigt. Sie
Weitere Kostenlose Bücher