Tod in Wacken (German Edition)
hunderttausend andere Dinge, bevor er sich dazu herablässt. Das können wir schnell selbst erledigen.«
Eine halbe Stunde später saß Sophie auf Lyns Schreibtischstuhl im Itzehoer Polizeigebäude und drehte sich wie ein Kreisel. »Hast du auch irgendwo Leichenfotos?«, fragte sie ihre Mutter, während sie sich mit den Füßen immer wieder abstieß.
»Meine Güte, Krümel, woher hast du nur diesen Hang zum Morbiden?«, murmelte Lyn. Sie fuhr ihren Bürocomputer hoch und gab die gesuchten Daten ein.
»Und?« Hendrik trat hinter sie, um auf den Bildschirm zu gucken.
»Scheiße!« Lyn sah Hendrik an.
Dann griff sie zum Telefonhörer und wählte die Nummer ihres Vaters. Sie winkte Sophie zu sich, die sich von ihrem Stuhlkarussell erhoben hatte und kichernd durch das Büro schwankte.
»Vater? Du musst mir einen Gefallen tun und Krümel hier bei mir im Büro abholen und sie nach Hause fahren. Sofort. In unserem Mordfall haben sich gerade völlig neue Ansatzpunkte ergeben.«
SECHZEHN
»Das, meine Liebe, war nicht gut! Die Hysterie war nicht zu überhören.« Joost Beutler riss den Hörer von Cornelia Stoblings Ohr und drückte das Gespräch weg. Er warf das Handy auf das Sofa, ging vor der am ganzen Körper zitternden Frau in die Knie und packte ihr Kinn, sodass sie gezwungen war, ihm in die Augen zu blicken. »Das war nicht gut .«
»Er … er hat nichts gemerkt. Er wird kommen … Andy wird bestimmt kommen«, weinte sie. Aus ihren Augen stürzten die Tränen. »Bitte … Er wird kommen.«
Joost Beutler stand auf und trat ans Fenster. Eingebettet in das satte Grün der Uferpflanzen glitzerte das Wasser der Au.
Er musste dies zu Ende bringen! Er hatte einen Auftrag, und jetzt, wo das Böse endlich greifbar war und er die Chance hatte, es zu eliminieren, durfte nichts mehr dazwischenkommen. Andreas Stoblings Leben war gottesunwürdig, und er hatte es nicht verdient zu leben.
Ein kleines spöttisches Lachen entfuhr ihm. Die menschliche Gerichtsbarkeit sah das anders. Natürlich, Stobling würde bestraft werden für das, was er getan hatte. Er würde in ein Gefängnis gesteckt werden. Er würde atmen, essen und trinken, Sport treiben, fernsehen, lesen, sogar an kulturellen Aktivitäten teilnehmen.
Ihn zu töten für das, was er Judith und Werner angetan hatte, das trauten sie sich nicht, die Menschen. Sie versteckten sich hinter ihren demokratischen und sozialen Gesetzen. Und sie waren ja Christen ! Mit dem, der angeblich mit seinem Tod die Schuld der Menschheit abgegolten hatte, war Gottes Wort »Auge um Auge, Zahn um Zahn« vor zweitausend Jahren unwirksam geworden.
Aber nicht für ihn! Warum sonst hatte Gott ihm den Engel gesandt? Ein flammendes Schwert war eine unmissverständliche Sprache. Entschlossen drehte er sich um. Die apathisch schluchzende Frau blickte ihm angsterfüllt entgegen, als er auf sie zuging.
»Wunderschön«, sagte er und strich sanft durch ihre roten Locken. »Tizian hätte seine Freude an dir gehabt … Sag mir deinen Vornamen.«
Cornelia schluckte. Es fühlte sich nicht gut an, dass er sie plötzlich duzte. »Cor… Cornelia.«
»Cornelia! Cornelia, die Mutter der Gracchen. Hast du von ihr gehört? Nein? Das dachte ich mir. Sie war eine edle und sehr kluge Römerin. Ihre Liebe zu ihren Kindern gleicht übrigens deiner Liebe zu deinem Bruder. Sie bedeuteten ihr mehr als alles Hab und Gut.«
Sie fuhren beide zusammen, als das Handy klingelte. Mit drei Schritten war er beim Sofa und starrte auf das Display. »Dein Bruder. Ich wusste, dass er nicht zufrieden sein wird mit dem, was und vor allem wie du es von dir gegeben hast. Aber gut, dann muss es anders gehen.« Das Gesicht zu Cornelia gewandt, nahm er das Gespräch an.
»Andreas Stobling? Sie möchten bestimmt Ihre Schwester sprechen? … Wer ich bin? Das spielt für Sie keine Rolle. Ich sage Ihnen nur so viel und auch nur einmal: Wenn Sie das Leben Ihrer Schwester nicht gefährden wollen, dann kommen Sie umgehend zu der Ihnen genannten Adresse. Es steht Ihnen frei, die Polizei zu informieren. Sollten Sie sich da für entscheiden, stirbt Ihre Schwester. Ebenso, wenn Sie nicht bis achtzehn Uhr hier sind. Paradiestal 7 in Burg.«
»Andyyy!« Cornelia Stobling schrie wie von Sinnen. »Andyyy!«
»Sie hören, sie hat Sehnsucht nach Ihnen«, sagte Joost Beutler und unterbrach die Verbindung.
Er atmete konzentriert aus.
»Warum tun Sie das? Warum lassen Sie uns nicht einfach in Ruhe?« Cornelia weinte bitterlich. Sie war nur noch
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