Tod in Wolfsburg (German Edition)
eigentlich Lola, Rabea und Philippa?«
»Die waren in der Nacht auch in dieser Disco – zusammen mit Nelli
und Karen. Und zig anderen«, antwortete das Mädchen. »Das hat sich an der
Schule herumgesprochen.«
»Ist mir klar, aber sind dir diese vier oder auch fünf ansonsten
schon mal über den Weg gelaufen beziehungsweise als Freundinnengruppe
aufgefallen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nö.« Eine verschwitzte blassbraune
Haarsträhne fiel ihr ins Gesicht. Sie pustete sie beiseite und hustete.
»Betty, sind dir in der Schule oder von Schülern aus Kreuzheide
schon mal Drogen angeboten worden – Ecstasy oder Ähnliches?«
Erneutes Kopfschütteln.
»Und wenn ich dir versichere, dass niemand erfährt, von wem wir die
Information haben, könntest du mir dann einen Hinweis geben?«
»Nein.«
Johanna stand im selben Augenblick auf, als im Flur die Treppe
knarzte.
»Danke, Betty, das war es schon.« Für den Moment jedenfalls, fügte
sie lautlos hinzu.
Bettys Mutter öffnete die Tür, und keine Minute später befanden sich
Beran und Kommissarin Krass wieder draußen auf der Straße.
»Puh!«, stöhnte Sofia. »Da herrscht ja eine nette Stimmung.«
»Ja – so stellt man sich fröhliches Familienleben vor.« Johanna
schritt kräftig aus. »Nur zur Sicherheit: Überprüfen Sie doch bitte mal, ob es
zu dieser Familie irgendeinen polizeilichen Vermerk gibt.«
»Woran denken Sie?«
»An ruhestörenden Partylärm.«
»Was?«
Johanna verdrehte die Augen. »Das war ein Scherz. Wahrscheinlich mal
wieder völlig unangemessen, aber na ja … Ich dachte an anonyme Anzeigen. Gewalt
in der Familie oder so was. Ist nur eine Idee.«
»Okay.« Beran eilte über die Straße und öffnete den Wagen.
»Allerstraße oder Krähenhoop?«
»Machen Sie mal erst die Biege zum Krähenhoop.«
Bei Rabea Solga hatte niemand geöffnet, also waren sie über die
Drömling-und vorbei an der Örtzestraße weiter in die Allerstraße gefahren. Die
Fassaden der Hochhäuser waren inzwischen mehrfach renoviert worden, hinter dem
Kindergarten entstand ein neues Viertel, das Wolfsburg und Vorsfelde noch enger
zusammenwachsen ließ, und man durfte nur noch dreißig fahren. Die alte Feldmark
war verschwunden. Viele Rasenflächen waren inzwischen mit aufwendigen
Bepflanzungen versehen. Sah adrett aus, aber Fußball konnte man da nicht mehr
spielen. Vor achtunddreißig Jahren hatten manchmal zehn, fünfzehn Kinder auf dem
kleinen Spielplatz und dem Rasen hinter der Örtzestraße 1 herumgetobt. Sie
hatten Indianer und Cowboy gespielt und waren am Feld zwischen Birnbäumen und
dichtem Gebüsch an einem Bach herumgestromert. Ein kleiner Junge, Christian,
erinnerte Johanna sich plötzlich, hatte irgendwann behauptet, dass es dort
Füchse gebe. Von da an hieß das Gebiet nur noch die Fuchsi. Wie albern, dachte
sie und versuchte die eindringlichen Bilder abzuwehren, die ungerufen in ihr
hochstiegen. Sie war immer ganz aufgeregt gewesen, wenn sie im Frühjahr endlich
die Rollschuhe herausholen konnte. Dabei war sie gar keine besonders geschickte
Fahrerin gewesen. Aber der Singsang der Rollen auf den Wegen rund um die Schule
in der Teichbreite hatte etwas Tröstliches gehabt.
Die Atmosphäre bei Lola zu Hause war in keiner Weise mit der bei
Betty zu vergleichen. Eine geschäftige rothaarige Frau in gut sitzenden
schwarzen Jeans und buntem Pullover bat Beran und Johanna mit lebhafter Gestik
sofort ins Wohnzimmer – ein heller Raum voller Holzmöbel, der nicht nur an
Sonn-und Feiertagen genutzt wurde. Zwei kleinere Kinder im Alter von fünf und
schätzungsweise neun oder zehn Jahren spielten auf dem Teppich. Das ältere
Kind, ein Junge, saß im Schneidersitz an einen Sessel gelehnt und bearbeitete mit
verkniffenem Gesicht einen Gameboy, das Mädchen zog einer Barbiepuppe ein
Hochzeitskleid an.
Die gibt es ja immer noch, dachte Johanna, ich fasse es nicht. Auf
dem Wohnzimmertisch waren mehrere Frauenzeitschriften aufgeschlagen, eine Tasse
Kaffee dampfte vor sich hin, aus einem Nebenzimmer drang laute Popmusik.
»Lola ist gerade nach Hause gekommen«, erklärte ihre Mutter rasch.
»Ich hole sie sofort. Nehmen Sie doch schon mal Platz – am besten am
Esszimmertisch.«
Sie sammelte die Spielutensilien von Lolas Geschwistern ein und
scheuchte die Kleinen zur Tür hinaus, während die Polizistinnen sich setzten.
Dann sah sie Johanna an. »Und meine Tochter hat wirklich nichts angestellt? Es
geht lediglich um dieses Unglück?«
»Wir müssen nur ein paar
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