Tod in Wolfsburg (German Edition)
beim Alten einen Stein im Brett. Mindestens einen. Er sah
auf die Uhr. Gerade mal halb acht. Er kratzte sich am Hinterkopf. Dann wählte
er Toms Nummer. Das Freizeichen ertönte – dreimal, viermal, fünfmal, aber Tom
ging nicht ans Telefon. Rico seufzte. Er war müde. Hundemüde. Wahrscheinlich
pennte Tom irgendwo seinen Rausch aus. Am Abend zuvor hatte er ihm noch eine
Nachricht geschickt, dass er die Kleine aus Braunschweig vor ihrer Wohnung
abfangen würde, um ihr ein paar Takte zu erzählen. Damit sie nicht auf dumme
Ideen kam. Oder so ähnlich. Rico grinste. Er war sicher, dass Tom die richtigen
Worte gefunden hatte, um ihr klarzumachen, wie sie sich zu verhalten hatte,
falls sie noch mal zu Vorkommnissen befragt wurde, die schon eine ganze Weile
zurücklagen, die sie aber ohne Zweifel stark beeindruckt hatten.
Auf Tom war Verlass. Er war ein begabter Verfolger, der nicht nur
nie eine Fährte verlor, sondern sich auch in erstaunlich kurzer Zeit auf höchst
kreative Weise alle nötigen Informationen beschaffen konnte, um seinem Opfer
nahe zu sein. Jeder, auf dessen Spur er sich setzte, wurde irgendwann mürbe.
Wenn er dabei unauffällig bleiben wollte, bekam der andere nichts mit. Gar
nichts. Und wenn er vorhatte, jemanden zu erschrecken oder zu bedrängen, hatte
er viel Spaß und der Betroffene nur einen Wunsch: ihn abzuschütteln und ihm nie
wieder zu begegnen.
Eigentlich war doch alles in Butter. Rico seufzte und streckte sich
wieder aus. Es gab keinen wirklich akuten Grund, sich abzuhetzen.
Wahrscheinlich tauchte Tom innerhalb der nächsten ein bis zwei Stunden ohnehin
von ganz alleine wieder auf, würde sich einen Rüffel einfangen, und damit hatte
es sich. Vielleicht war Rabeas Hellhörigkeit in dem Fall auch etwas übertrieben
gewesen, und Rico hätte sich nicht davon beeinflussen lassen sollen. Er
schätzte zwar ihre Umsicht und ihren besonderen Riecher, und er wollte nicht,
dass sie sich um was auch immer sorgte, aber manchmal war es schlauer, sich
überhaupt nicht zu rühren, statt durch Hyperaktivität erst auf sich aufmerksam
zu machen. Dafür war es klug von ihm gewesen, nicht selbst die Initiative zu
ergreifen, sondern Tom nach Braunschweig zu schicken. Vielleicht wäre es auch
klug, sich zukünftig bei der Zusammenarbeit mit den Mädchen etwas rarer zu
machen. Trotz Rabea. Trotz der aufregenden Spielchen, die sich immer wieder
ergaben. Er hatte andere und große Pläne. Für die er fit und ausgeschlafen sein
musste.
Das Klopfen war kaum an sein Ohr gedrungen, da flog die Tür auch
schon auf. Rico schreckte hoch. Georg und Piet standen vor seinem Bett, und die
Miene des Chefs verhieß nichts Gutes. Rico wollte aufstehen, aber Piet
versetzte ihm einen kräftigen Stoß vor die Brust.
»Bleib, wo du bist!«
»Heh, was ist denn los?«
Georg zog sich einen Stuhl heran und nahm umständlich Platz.
»Ich bin enttäuscht, Rico. Sehr enttäuscht. Normalerweise kann ich
mich völlig auf dich verlassen, aber diesmal hast du es offensichtlich für
nötig befunden, gänzlich ohne Rücksprache eigene Wege zu gehen. Du weißt, dass
ich das ganz und gar nicht schätze.«
Rico verschränkte die Arme. »Ich verstehe kein Wort. Was ist denn
passiert?«
»Wo ist der Wagen?«
»Tom ist damit unterwegs.«
»Wo und warum?«
»In Braunschweig – was erledigen«, erwiderte Rico. »Was ist so
schlimm daran?«
Georg beugte sich blitzschnell vor und drosch ihm seine Rechte aufs
Auge. Er musste fuchsteufelswild sein, denn normalerweise legte er nie selbst
Hand an.
»Für heute Mittag ist eine Tour nach Berlin geplant, du Idiot!«,
zischte er. »Und der Wagen war zum Teil schon entsprechend vorbereitet –
kapierst du jetzt?«
Scheiße, dachte Rico. Sein Gaumen wurde trocken. »Das wusste ich
nicht! Mir hat niemand was gesagt. Tom hat nur … Warum weiß ich denn nichts
davon?«
»Halt die Schnauze! Du musst nicht immer alles wissen, aber du hast
zu fragen, bevor du was auch immer unternimmst, kapiert? Der Wagen stand in der
Garage – hat dich das nicht stutzig gemacht?«
Nein, hatte es nicht. Konnte es allerdings auch gar nicht, weil er
Tom einfach nur die Schlüssel ausgehändigt hatte und der nicht auf die Idee
gekommen war, irgendetwas in Frage zu stellen. Rico stöhnte leise. Dann blickte
er auf.
»Ich kümmere mich darum. Jetzt gleich.«
»Das hast du schon vor einer Stunde gesagt. Beweg deinen Arsch, und
schaff mir die Kiste ran! Sofort!«
»Klar – mach ich. Kein Problem.«
»Das hoffe ich. Das
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