Tod ist nur ein Wort
fragen sollen, doch als sie sich auf halber Treppe umdrehte, war niemand mehr zu sehen. Mit einem dankbaren Seufzer zog sie Sylvias Sandaletten aus und ging dann weiter hinauf, überzeugt, dass sie ihr Zimmer früher oder später schon finden würde.
Doch sie hatte sich keine Vorstellung davon gemacht, wie weitläufig das Château tatsächlich war. Selbst völlig nüchtern hätte sie Schwierigkeiten gehabt, den Korridor zu ihrem Zimmer zu finden. Und bei dem nun herrschenden Dämmerlicht sah ein Gang wie der andere aus. Als sie wieder um eine Ecke bog und eine vertraut wirkende Tür erblickte, lief sie darauf zu in der Überzeugung, dass dies der Korridor zu ihrem Zimmer sei.
Doch sie hatte sich geirrt. Ein starker Geruch nach Fäulnis, Schimmel und Verfall schlug ihr entgegen. Als sie in die Dunkelheit starrte, erkannte sie, dass man mit den Renovierungsarbeiten offenbar nur bis hier gekommen war. Soweit sie es beurteilen konnte, gab es keinerlei Strom. Das wenige Licht, das durch ein staubiges Fenster fiel, vermittelte jedoch einen passablen Eindruck davon, in welchem Zustand das Château gewesen sein musste, bevor jemand mit zu viel Geld sich entschlossen hatte, es zu retten. Von den Wänden bröckelte der Putz, der Boden war uneben und fleckig. Diverse Eimer mit Farbe zeugten von weiteren Renovierungsplänen. Neben dem feuchten Schimmel nahm sie noch einen anderen Geruch wahr, den sie nicht ganz identifizieren konnte. Irgendetwas Altes, Dunkles und auf nicht zu erklärende Weise … Böses. Der viele Wein war ihr eindeutig zu Kopf gestiegen – im nächsten Moment würde sie sich noch einbilden, dass sie in Gefahr sei. Zu viel Wein, zu viel Fantasie. Zögernd trat sie zurück – und fühlte einen menschlichen Körper hinter sich.
Sie unterdrückte einen Schrei, als sich eine schwere Hand auf ihren Arm legte, und drehte sich um.
Es war Hakim. Vor Erleichterung begann sie zu stammeln. Nicht, dass Hakim ein angenehmer warmherziger Mann war, doch sie war froh, dass sie nicht den beunruhigenden Bastien Toussaint vor sich hatte.
“Gott sei Dank!”, rief sie. “Ich bin schon überall herumgeirrt und fürchtete, mein Zimmer niemals mehr zu finden.”
“Dieser Bereich des Châteaus ist für die Gäste gesperrt, Miss Underwood. Wie Sie sehen, muss hier noch renoviert werden, und hier herumzuspazieren könnte sehr gefährlich werden. Wenn Ihnen hier etwas zustieße, würde Sie niemand schreien hören.”
Chloe war mit einem Schlag stocknüchtern, als sie in Hakims dunkles unbewegtes Gesicht sah. Dann zwang sie sich zu einem Lachen, um die Spannung aufzulösen.
“Ich fürchte, ich brauche eine Karte, um mich hier zurechtzufinden”, sagte sie. “Wenn Sie mir die Richtung zu meinem Zimmer zeigen, mache ich mich auf den Weg. Ich bin müde.”
Er hatte ihren Arm bislang nicht freigegeben. Seine Hand war dick und hässlich, auf den wulstigen Fingern sprossen dunkle Haare. Er erwiderte nichts, und für einen verrückten Moment glaubte sie, dass er sie zurückstieße in den verlassenen Raum, um sie dort elendig verhungern zu lassen.
Schließlich aber ließ er ihren Arm los. Und mochte sein Lächeln auch alles andere als freundlich sein, so war es doch immerhin ein Lächeln.
“Sie sollten vorsichtiger sein, Miss Underwood”, ermahnte er sie. “Andere Personen könnten gefährlicher sein als ich.”
“Gefährlich?” Es gelang ihr kaum, das Zittern in ihrer Stimme zu verbergen.
“Wie zum Beispiel Monsieur Toussaint. Er kann sehr charmant sein, doch Sie sollten sich klugerweise von ihm fernhalten. Ich sah Sie beide heute Abend in der Halle, und ich mache mir Sorgen. Um Sie, Miss Underwood.”
Es war dunkel genug, dass er nicht sehen konnte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. “Er hat mir nur den Weg zur Bibliothek gezeigt.”
“Mit seinem Mund? An Ihrer Stelle würde ich ihm aus dem Weg gehen. Der Mann ist berüchtigt. Sein Appetit auf Frauen ist unersättlich, und seine Vorlieben sind … nennen wir es speziell. Ich würde mich verantwortlich fühlen, wenn Sie hier in Schwierigkeiten gerieten. Schließlich bin ich Ihr Auftraggeber, und als solcher möchte ich nicht, dass Ihnen etwas zustößt.”
“Ich ebenfalls nicht”, sagte Chloe.
“Nach links, den Korridor entlang, dann zweimal nach rechts.”
“Wie bitte?”
“Das ist der Weg zu Ihrem Zimmer. Oder wünschen Sie, dass ich Sie begleite?”
Chloe unterdrückte ein Schaudern. “Es geht schon”, sagte sie. “Wenn ich mich wieder
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