Tod ist nur ein Wort
und für den entscheidenden Sprint brauchte sie ihre letzten Reserven. Er musste sie wie einen leblosen Körper auf den Beifahrersitz hieven, wo sie sich in das Leder sinken ließ, die Augen schloss und fühlte, wie sich allmählich Dunkelheit über sie senkte.
Er saß neben ihr auf dem Fahrersitz, als sie das Klicken des Sicherheitsgurtes hörte und lachen wollte. Welch ein umsichtiger Mann, der lautlos tötete und sich immer anschnallte. Er beugt sich über sie, um auch sie anzuschnallen, und die Berührung seiner Hände ließ sie zurückzucken, wie sie es nicht einmal bei Hakims Messer getan hatte. Doch sie beherrschte sich, ließ die Augen geschlossen und sehnte die Bewusstlosigkeit herbei.
Er raste mit vollem Tempo durch die dunkle mondlose Nacht, fuhr um ihr Leben, und schaltete dennoch das Radio ein. Sie spielten einen mehrere Jahre alten Hit, in dem jemand von Liebe sang, die ihn fast umbrachte.
Sie wandte sich ihm zu. “Du hast heute Nacht einen Menschen getötet”, sagte sie.
Er blickte nicht einmal zur Seite. “Ich habe heute Nacht zwei Menschen getötet. Du hast nicht gesehen, wie ich einem der Wachmänner die Kehle durchgeschnitten habe. Aber ich schwöre, dass ich keinen der Hunde verletzt habe.”
Sie starrte ihn entsetzt an. “Wie kannst du darüber Witze machen?”
“Es war also ein Witz, dass ich die Hunde nicht töten sollte? Es hätte die Dinge einfacher gemacht, aber ich entschied mich dafür, auf deine Gefühle Rücksicht zu nehmen.” Er nahm die Kurve mit der Geschwindigkeit und Geschicklichkeit eines Rennfahrers, schenkte ihr nur einen Bruchteil seiner Aufmerksamkeit.
Sie wusste nicht, was schlimmer war: ein Mann wie Hakim, der aus Vergnügen tötete, oder ein Mann wie Bastien, der gar nichts mehr fühlte.
“Versuch zu schlafen,
ma petite”
, sagte er. “Wir haben eine lange Fahrt vor uns, und du hattest eine anstrengende Nacht. Ich wecke dich, wenn wir anhalten, um etwas zu essen.”
“Ich möchte nie wieder essen”, erwiderte sie schaudernd. Sie konnte wieder das Blut riechen und den Gestank von irgendetwas Faulem.
“Wie du willst. Amerikanerinnen waren mir immer schon zu üppig.”
Vor lauter Müdigkeit brachte sie nicht einmal den Anflug von Widerspruch zustande. Wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie glauben, dass er sie einfach nur aus ihrem benommenen, weggetretenen Zustand reißen wollte, doch es schien unwahrscheinlich, dass er sich um sie sorgte. Sie wollte ihn fragen, wohin er mit ihr fuhr, brachte aber die Energie nicht mehr auf. Er sollte mit ihr fahren, wohin er wollte, mit ihr tun, was er wollte. Sie konnte einzig hoffen, dass er sie nur anrührte, um sie zu töten. Sie wollte lieber tot sein, als noch einmal mit diesem kaltblütigen Monster zu schlafen.
“Versuch zu schlafen”, wiederholte er in sanfterem Ton, obwohl allein die Vorstellung von Sanftheit bei ihm absurd schien. Doch das Lied im Radio über die Liebe und den Tod war sanft und einschläfernd.
C’est foutu.
Alles ist egal, hieß es in dem Lied, und sie konnte nur zustimmen, als sie die Augen schloss und sich von der Dunkelheit umfangen ließ.
Als er sicher war, dass sie schlief, schaute Bastien zu ihr hinüber. Sie sah schlimm aus – ihre Arme waren mit Schnitten und Brandwunden überzogen, ihr Gesicht war bleich. Sie wirkte sehr zerbrechlich, doch er wusste, dass das täuschte. Allein dass sie noch lebte, grenzte an ein Wunder. Sie musste irgendwie in der Lage gewesen sein, Hakim lange genug zu widerstehen.
Hakim hatte eine bestimmte Vorgehensweise – er war ein sehr methodischer Mensch. Er befahl seinen Opfern, nicht zu schreien, und bearbeitete sie dann so lange, bis sie es taten. Wie ein Liebhaber, der eine widerstrebende Frau zum Orgasmus bringt. Wenn sie erst einmal angefangen hatten, zu schreien, beschleunigte er die Sache. Doch Chloe hatte es geschafft, ruhig zu bleiben. Ihre Lippen waren blutverkrustet und geschwollen vom vielen Daraufbeißen, um die Schreie zu unterdrücken. Oder die Bisse stammten von ihm. Er war sicher kein zärtlicher Liebhaber gewesen.
Doch er hatte herausgefunden, was er in Erfahrung bringen musste, und das allein zählte. Und dann war er losgezogen und hatte alles verdorben, indem er sich in fremde Angelegenheiten gemischt und sich in Hakims Spielchen eingeschaltet hatte, statt zu akzeptieren, dass jeder Krieg seine Opfer forderte.
Vielleicht war er all der Kollateralschäden überdrüssig. Vielleicht wollte er einmal ein Leben retten, statt es
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