Tod mit Meerblick: Schleswig-Holstein-Krimi
in diesem Landstrich war das Wetter innerhalb kürzester Zeit umgeschlagen. Jetzt sehnte sie sich nach einem warmen Pulli.
Petersen war nicht entgangen, dass die junge Kommissarin fror. »Ich fahre zur Polizeiinspektion und durchforsche alle Datenbanken. Mit etwas Glück galt der Mann als vermisst. Und du fährst erst mal nach Hause, gehst duschen und ziehst dich um. Wir sehen uns in anderthalb Stunden an der Poggenburgstraße.«
Wiebke hatte keine Einwände und machte, dass sie zu ihrem Auto kam. Als sie Nordstrand verließ, setzte die Heizung ein, und eine angenehme Wärme breitete sich im Wageninnern aus. Die teils mit Reet gedeckten Häuser von Schobüll duckten sich in die sanfte Landschaft, und die See lag rechts von ihr. Düstere Wolken trieben ins Landesinnere. Am liebsten hätte sich Wiebke nach einem ausgiebigen Bad ins warme Bett verkrochen. In Momenten wie diesem fühlte sie sich unendlich einsam und sehnte sich nach einem starken Mann an ihrer Seite. Doch Tiedje hatte ihr ja den Laufpass gegeben. Wiebke bemerkte nicht, dass sich ihre Hände um den Lenkradkranz des alten Passat krallten. Sie versuchte, die Schönheit der Landschaft zu genießen und atmete tief durch.
Im Spiegelbild der Windschutzscheibe sah sie immer wieder das Gesicht des Toten am Elisabeth-Sophien-Koog. Da war etwas im Gesicht des Toten, eine Art, die sie nicht beschreiben konnte, etwas, das sie sich vielleicht auch nur einbildete.
Ängstlich, anklagend, und hasserfüllt hatte er auf Wiebke gewirkt. So sah sicherlich kein Mensch im Augenblick des Todes aus, der sich selber umbringen wollte.
Es fehlte nicht nur die Spur, die zum Täter führte, sondern auch die Identität des Toten. Sie standen vor dem Nichts und hatten einen Mord in einem der idyllischsten Landstriche Deutschlands aufzuklären. Dass ein Mord in einer von Touristen stark frequentierten Gegend nicht gern gesehen war, verstand sich von selbst.
Hinter Husum bog sie auf die Ostenfelder Landstraße ab. Die Sonne drang wieder durch die Wolkendecke und heizte Wiebkes Auto auf. Sie nahm die Sonnenbrille aus der Konsole und genoss das Lichterspiel, das sich ihr bot. Der Wagen rollte nun durch ein ausgedehntes Waldgebiet. Wiebke kurbelte das Seitenfenster einen Spalt breit auf und sog die frische Waldluft tief ein. Wenig später lenkte sie den Wagen in die Einfahrt des Backsteinhauses von Heide und Helmut Uphusen an der Hauptstraße, in dem sie die Dachgeschosswohnung angemietet hatte. Früher war es einmal eine Ferienwohnung gewesen, doch nun hatte sich Wiebke dauerhaft eingemietet. Die Wohnung war perfekt für sie, denn sie hatte das Objekt möbliert übernehmen können, und auch der Hausstand war fast komplett eingerichtet gewesen. Gut nach der Trennung von Tiedje, denn für die Gründung eines neuen Hausstandes hätte ihr einfach das Geld gefehlt.
Heide Uphusen, ihre Vermieterin, war gerade damit beschäftigt, die Rosensträuche vor dem Haus zu schneiden. Die schlanke Mittfünfzigerin mit dem kurzen blonden Haar liebte den Garten über alles. Oft saßen sie an lauen Sommerabenden zusammen auf der Terrasse hinter dem Haus und unterhielten sich über Gott und die Welt. Heide blickte neugierig auf, als sie Wiebke bemerkte, und winkte mit der Schere in der Hand. »Moin«, rief sie durch die offene Seitenscheibe des Wagens.
Wiebke erwiderte den Gruß, war aber eigentlich gar nicht in der Stimmung für ein nachbarschaftliches Geplänkel. Sie rangierte ihr Auto neben die kleine Mauer und stieg aus.
»So früh schon unterwegs?« Heide trat näher und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Die verdammten Wechseljahre«, kommentierte sie, ohne Wiebkes Antwort abzuwarten, und blickte zum Himmel. »Obwohl es gar nicht so warm ist, läuft mir die Brühe runter.« Heide Uphusen winkte ab. »Komm in mein Alter, und du hast immer was zu lachen.« Dann stutzte sie. »Ist etwas passiert?«
»Die Arbeit ruft: Es hat einen Toten gegeben.« Weitere Details behielt Wiebke für sich, die gehörten nicht in einen lockeren Nachbarschaftsplausch. Es war ihr erster Fall, und sie merkte, dass sie sich noch an viele Dinge gewöhnen musste.
»Und damit ist dein Wochenende vorbei, was?« Heide gab sich diskret. Sie machte keine Anstalten, Wiebke auszufragen.
»Es sieht ganz danach aus.« Sie klimperte mit dem Schlüssel. »Ich werd mich jetzt mal duschen und umziehen, und dann geht es an die Arbeit.«
»Ist gut, mach das.« Heide nickte. »Und ich werd mal wieder an meine Rosen gehen, sonst
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