Tod mit Meerblick: Schleswig-Holstein-Krimi
Wiebke hatte ebenso oft beteuert, dass sie damit absolut keine Probleme hatte. Ihr Vater war auch ein starker Raucher und hatte ständig gequalmt.
Mit dem Tod ihrer Mutter hatte sie jeden Kontakt zu ihrer Familie verloren. Mutter hatte darauf bestanden, in ihrer Heimatstadt Wuppertal bestattet zu werden. Seit der Beerdigung hatte Wiebke ihren Vater nicht mehr zu Gesicht bekommen. Er hatte abseits der Trauergemeinde am Grab gestanden und sich wohl zurückgehalten, weil Mutters neuer Mann natürlich dagewesen war. Wiebke erinnerte sich daran, dass er ihr in diesem Moment sogar leidgetan hatte. Er, der harte Hund der Wuppertaler Polizei, ließ sich nur selten zu Gefühlsausbrüchen hinreißen, doch als die Träger den Sarg seiner Exfrau ins Grab abgelassen hatten, hatten seine Augen feucht geschimmert. Nie würde Wiebke diesen tieftraurigen Blick vergessen können. Wahrscheinlich war er sich überflüssig am Grab seiner Exfrau vorgekommen.
Er hatte für den Job die Ehe aufs Spiel gesetzt. Das war schon etliche Jahre her, dachte Wiebke und seufzte fast unmerklich. Sollte ihr jetzt mit Tiedje ein ähnliches Schicksal widerfahren, weil sie zu viel Zeit in den Beruf investierte? Das Böse schläft nie, hatte Norbert Ulbricht immer gesagt, wenn er zu den unmöglichsten Tages- und Nachtzeiten ausrücken musste, weil irgendwo in Wuppertal ein Verbrechen begangen worden war.
Sie saßen an einem Fenstertisch und hatten einen wunderschönen Ausblick auf das Husumer Hafenbecken. Das einzige Schiff, das hier dauerhaft vor Anker lag, war das Restaurantschiff Nordertor , das ›letzte Restaurant vor der Innenstadt‹, wie auf einem Schild an der Mole zu lesen war. Es war Flut, und das warme Sonnenlicht brach sich im Wasser. Möwen zogen kreischend über dem Hafenbecken ihre Bahnen.
»Um es auf den Punkt zu bringen«, brach Petersen das Schweigen, »niemand vermisst unseren Mister X.«
»Vielleicht ist es noch zu früh, um …«, begann Wiebke, doch Petersen schüttelte den Kopf.
»Es kann natürlich auch sein, dass es sich bei unserem Toten gar nicht um einen Deutschen handelt. Womöglich kommt er aus Dänemark. Es ist nicht weit bis zur Grenze, und erfahrungsgemäß sind die dänischen Kollegen …«, Petersen brach ab und schien nach dem richtigen Ausdruck zu suchen.
»Behäbig«, half Wiebke ihm lächelnd. »Ich werde gleich mal in Dänemark anrufen und den Kollegen ein paar Fotos zukommen lassen, dann können die mal ihre Datenbanken abfragen«, schlug sie vor.
Petersens Handy meldete sich. Er murmelte eine Entschuldigung und zog das Telefon aus der Hemdtasche. Das Gespräch dauerte keine Minute. »Ja, machen wir. Kein Problem, wir sind in einer halben Stunde da.« Er drückte den roten Knopf und steckte das Handy wieder weg.
»Was Wichtiges?«, fragte Wiebke.
»Das kann man wohl sagen.« Petersen drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. Er biss in ein trockenes Brötchen, das er sich vorhin aus dem Korb genommen hatte. »Essen werde ich das wohl gleich unterwegs. Es gibt Arbeit. Bente Harmsen will uns sprechen.« Er winkte der Kellnerin, um die Rechnung zu begleichen.
Keine zehn Minuten später saßen sie im Dienstwagen und waren auf dem Weg nach Nordstrand.
»Kann ich mich auf Ihre Diskretion verlassen?« Bente Harmsen blickte die Beamten mit versteinerter Miene an. Sie saßen an einem Tisch im hinteren Bereich der kleinen Strandkneipe. Erst vor einer Stunde waren die Kollegen der Spurensicherung abgerückt. Wiebkes Blick glitt durch die große Glasfront zum Außenbereich. Ein Strandkorb fehlte. Man hatte ihn abtransportiert, um ihn bei der KTU in Flensburg untersuchen zu lassen. Piet Johannsen erhoffte sich von den Mikrospuren Hinweise.
»Das kommt darauf an«, erwiderte Wiebke.
»Es ist sehr privat, was ich Ihnen jetzt sage.« Bente Harmsen hatte die Stimme gesenkt, obwohl sie sich alleine im Möwennest befanden.
»Wir sind an der Aufklärung eines Mordes interessiert, nicht an Ihrem Privatleben«, stellte Jan Petersen klar.
»Ich habe gelogen«, flüsterte Bente Harmsen. Als sie die Kommissare anblickte, schimmerten ihre Augen feucht. »Es stimmt nicht, was ich Ihnen heute Morgen erzählt habe.« Sie legte eine Pause ein und rang nervös mit den Fingern. »Ich kannte den Mann, der sich in meinem Strandkorb erschossen hat.«
»Er wurde getötet, so viel steht bereits fest«, antwortete Wiebke.
»Stehe ich jetzt unter Mordverdacht?« Bente Harmsens Augen wurden groß.
»Das kommt darauf an, in welchem
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