Tod mit Meerblick: Schleswig-Holstein-Krimi
Glaskuppel zog fast lautlos seine Bahn auf dem Wasser und fuhr eine Schar von Urlaubern zu den schönsten Ecken der kleinen Stadt zwischen Treene und Eider. Das Städtchen war eingebettet in eine idyllische Flusslandschaft und lockte viele Touristen zu einem Ausflug hierher. Doch die Idylle täuschte, denn Wiebke wusste ganz genau, was sich hier ereignet hatte. Sie war froh, dass die fröhliche Touristengruppe, die an ihr vorüberzog, nichts davon ahnte.
Über die B 5 und die B 202 war sie recht schnell hierhergekommen, hatte einen Parkschein am Markt gezogen und machte sich zu Fuß auf den Weg in die Prinzenstraße. Gegenüber vom Friesen-Bistro lag das Haus, in dem Ilka Benning lebte. Dabei handelte es sich um eines der windschiefen, für Friedrichstadt so typischen Häuser mit Treppengiebeln. Wie Wiebke in Erfahrung gebracht hatte, studierte die junge Frau Kunstgeschichte. Dass sie in ihrer Freizeit malte, lag da fast auf der Hand. In Friedrichstadt lebten viele Künstler – kein Wunder, denn über Motive verfügte die kleine Stadt in Hülle und Fülle. Als Wiebke den Klingelknopf neben der bunt gestrichenen Haustür betätigte, überlegte sie, ob es vielleicht besser gewesen wäre, wenn sie ihr Kommen telefonisch angemeldet hätte. Doch sie fand keine Zeit, den Gedanken zu vertiefen, denn die Tür wurde schnell geöffnet.
»Ja, bitte?«
Eine junge Frau, Wiebke schätzte sie auf Anfang zwanzig. Sie entsprach mit den blauen Augen und den schulterlangen blonden Haaren genau dem Beuteschema ihres Peinigers. Obwohl sie gleich geöffnet hatte, wirkte sie verschlossen und eingeschüchtert, als litte sie unter einer Unsicherheit, die ihr Handeln hemmte.
Wiebke lächelte freundlich und zeigte der jungen Frau ihren Dienstausweis. »Sind Sie Ilka Benning?«
»Kripo Husum?«, antwortete Ilka Benning mit einer Gegenfrage.
»Ja, mein Name ist Wiebke Ulbricht. Entschuldigen Sie bitte vielmals die Störung, aber ist es möglich, dass ich kurz reinkomme?«
»Hm.« Die junge Frau gab den Eingang frei und führte Wiebke durch ein dunkles Treppenhaus in den ersten Stock. Es roch muffig, und die ausgetretenen Stufen knarrten unter ihren Schritten. Während die junge Frau vor ihr herging, musterte Wiebke sie. Ilka Benning trug eine figurbetonte Jeans und ein T-Shirt. Die Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie war eine hübsche Frau, daran bestand kein Zweifel. Ob sie aber jemals wieder einen Mann lieben konnte, wagte Wiebke zu bezweifeln.
Die Dielen des alten Hauses knarrten unter ihren Füßen, und Wiebke liebte die Atmosphäre alter Häuser. In der Ecke des kleinen Wohnzimmers gab es sogar einen Kaminofen. Die massiven Holzbalken unter der Decke unterstrichen den heimeligen Touch der kleinen Wohnung. Das Wohnzimmerfenster war durch Stege in mehrere kleine Scheiben unterteilt. Von hier aus hatte man Blick hinunter auf die Prinzenstraße. Unter dem Fenster stand ein alter Apothekerschrank mit unzähligen großen und kleinen Schubladen. Das Möbel war liebevoll aufgearbeitet worden und der Blickfang des Zimmers. Wiebke vermutete, dass Ilka Benning den Schrank selber restauriert hatte. »Schön haben Sie es.«
Ilka Benning lächelte. »Es ist das Haus meiner Eltern. Sie leben in der großen Wohnung im Erdgeschoss. Ich liebe den Charme der alten Fünfgiebelhäuser und bin hier aufgewachsen.«
Wiebkes Blick fiel auf die Ölgemälde an den Wänden. Sie glaubte Motive der näheren Umgebung von Friedrichstadt wiederzuerkennen.
»Gefallen Ihnen die Bilder?« Ilka Benning zog sich einen Sitzsack heran und ließ sich darauf nieder.
»Sie sind wunderschön.«
»Sie können sie kaufen, wenn Sie mögen. Ich habe sie selbst gemalt.«
Wiebke lächelte, als sie auf das kleine Sofa sank. »Vielleicht komme ich darauf zurück.«
»Darf ich Ihnen einen Tee anbieten?«
»Gern.«
Ilka Benning erhob sich und verließ den Raum. Wiebke setzte ihre Beobachtung fort. Sie hatte ein Faible für Altbauten und bedauerte es ein wenig, selber in einem recht modernen Haus zu leben. Doch bekanntlich konnte man nicht alles haben. Wiebke hörte die junge Frau in der Küche mit Geschirr hantieren. Nach wenigen Minuten kehrte Ilka Benning mit einem kleinen Tablett zurück, auf dem sie eine Kanne, zwei Tassen, Sahne, ein Stövchen und eine Dose mit Kluntjes balancierte. Mit feierliche Miene stellte die Studentin alles auf den niedrigen Wohnzimmertisch und schenkte den Tee ein. Sie achtete darauf, dass sie die Tassen nach alter
Weitere Kostenlose Bücher