Tod mit Meerblick: Schleswig-Holstein-Krimi
Nach dem Fest, es war spät geworden und die Stände hatten bereits geschlossen, machte ich mich mit dem Fahrrad auf den Heimweg. Plötzlich näherte sich von hinten ein Auto in einem Irrsinnstempo. Ich höre noch immer das Rattern der Reifen auf dem Kopfsteinpflaster.« Ilka schüttelte sich. Sie stellte die Tasse hart auf den Unterteller ab. »Der Typ war mit Fernlicht unterwegs und blendete mich. Ich dachte erst, der wäre betrunken. Ich war panisch vor Angst, und als ich mich nach ihm umdrehte, gab er noch einmal Gas. Ich hatte keine Chance, denn an der Stelle, wo es passiert ist, sind die Bordsteine sehr hoch, und ich konnte nicht über den Bürgersteig flüchten. Dann ging alles ganz schnell: Er rammte mich mit dem Wagen, ich fiel … Ich spürte noch die Stange des Lenkers, die sich in meinen Magen bohrte. Er hielt an, sprang aus dem Wagen und zog mich auf den Beifahrersitz. Da dachte ich noch, dass alles ein Unfall war und dass er mich ins Krankenhaus bringen wollte. Aber er fuhr auf einen Acker jenseits der Stadt und trug mich in eine baufällige Scheune.«
»Und dann hat er dich dort … missbraucht?« Wiebke berührte die Geschichte der jungen Frau sehr, und sie spürte, wie unsicher sie plötzlich war. Vielleicht war sie noch nicht lange genug im Polizeidienst. Oder vielleicht war das auch einfach nur menschlich.
Ilka atmete tief durch, so, als könne sie sich damit beruhigen. »Ich hatte keine Chance, weil er ziemlich stark war. Er hat mir einen Arm nach hinten gedreht, während er mich gefesselt hat, und mir einen ekligen Knebel in den Mund gestopft. Ich hätte fast gekotzt. Als ich mich nicht mehr wehren konnte, riss er mir die Sachen herunter …« Sie brach ab und stierte sekundenlang ins Leere. Als sie wieder aufblickte, schimmerten ihre Augen feucht.
»Wie hat man dich in der Scheune gefunden?«
Ilka Benning schüttelte den Kopf. »Man hat mich gar nicht gefunden. Nachdem ich mich ein bisschen erholt hatte und sicher sein konnte, dass er verschwunden war, habe ich mich irgendwie zu einer Landstraße geschleppt. Wie ich da hingekommen bin, weiß ich nicht mehr. Irgendwann kam ein Auto, und ich hatte tierische Angst, dass es sein Wagen war. Dass er zurückgekommen war, um … Egal, ich hatte Glück: Eine alte Dame saß am Steuer. Sie hielt an und half mir ins Auto. Nachdem ich ihr berichtet hatte, was passiert war, hat sie mit dem Handy die Polizei angerufen und mich ins Krankenhaus nach Husum gefahren.«
»Das war Glück im Unglück«, murmelte Wiebke. Sie seufzte. »Wer weiß, was geschehen wäre, wenn er wirklich noch mal zur Scheune gekommen wäre.«
»Trotzdem: Seit dieser Nacht trage ich einen tiefen Hass in mir, der mir selber Angst macht. An manchen Tagen heule ich einfach drauflos und hoffe, diesem Schwein eines Tages wieder in die Augen sehen zu können.« Ilka Bennings zierlicher Körper spannte sich an, sie zitterte am ganzen Leib.
»Das ist schrecklich«, murmelte Wiebke. In diesem Augenblick bereute sie es, alte Wunden wieder aufgerissen zu haben. Klaus Georgs war tot. Warum hatte sie es nicht einfach dabei belassen können? Hastig trank sie ihren Tee aus. Dann griff sie in ihre Tasche und zeigte Ilka Benning ein Foto von Klaus Georgs. »Ich muss sichergehen, dass es sich bei deinem Peiniger um den Mann handelt, den wir tot aufgefunden haben.«
Ilka zögerte, dann betrachtete sie das Bild. Ihre Gesichtsmuskeln zuckten, die Lippen hatte sie zu einem schmalen Strich zusammengepresst. »Ja«, wisperte sie. »Ja, das ist das verdammte Schwein. Und ich bin froh, dass er tot ist.«
Einundzwanzig
Mit gemischten Gefühlen trat Wiebke den Heimweg an. Im Grunde genommen war sie auch froh, dass Klaus Georgs keine Frauen mehr quälen konnte, doch ihr Job war es, einen Mord aufzuklären. Und wenn wirklich alles zusammenhing, waren es sogar zwei Morde, die auf das Konto eines Täters gingen. Für sie stand noch lange nicht fest, dass Bente Harmsen Klaus Georgs und Ubbo Harmsen auf dem Gewissen hatte.
Das Handy klingelte, als sie gerade auf die Bundesstraße 202 gefahren war. In ihrem alten Auto gab es keine Freisprecheinrichtung, und anhalten konnte sie an dieser Stelle auch nicht. Als sie den Abzweig bei Seeth genommen hatte, fand sie eine geeignete Stelle am Straßenrand. Sie hielt an und nahm das Telefon aus der Mittelkonsole. Als sie den verpassten Anruf sah, erkannte sie Petersens Nummer. Sie drückte die grüne Taste und wartete auf das Freizeichen.
»Danke, dass du
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