Tod mit Meerblick: Schleswig-Holstein-Krimi
friesischer Art nur halb füllte. Danach stellte sie die Kanne auf dem Stövchen ab. Es glich einer Zeremonie, wie bedächtig Ilka Benning den Tee servierte. Wiebke fand es bemerkenswert, wie traditionsbewusst die junge Frau war.
»Also«, sagte Ilka Benning. »Was führt Sie zu mir?« Ihre Miene verfinsterte sich. »Doch nicht schon wieder die alte Geschichte?«
»Ich fürchte doch, Frau Benning.«
»Ich bin die Ilka.«
»Wiebke«, lächelte sie und war froh, dass die Distanz zwischen ihnen schmolz. Die junge Frau war ihr sympathisch, und Ilka Benning schien es ebenso zu ergehen. Das machte die Sache für Wiebke ein wenig leichter, als sie sagte: »Zunächst habe ich eine gute Nachricht für dich: Dein Peiniger ist tot.«
Ilkas Kopf ruckte hoch. Die Hand, mit der sie die Tasse hielt, zitterte plötzlich. »Das verdammte Schwein ist endlich tot?«
»Ja. Ermordet. Und nun suchen wir seinen Mörder.« Sie legte eine Pause ein, bevor sie fortfuhr. »Würdest du mir von ihm erzählen?«
»Endlich. Hat er seine gerechte Strafe also doch noch erhalten? Wie … wie wurde er ermordet?«
»Man hat ihn erschossen.«
»Dann hat er nicht lange gelitten.«
»Nein. Wahrscheinlich war er auf der Stelle tot. Allerdings wurde er zuvor betäubt. Mit Chloroform oder einem ähnlichen Mittel.« Wiebke stellte die Teetasse auf den Tisch und faltete die Hände, fast so, als würde sie beten.
»Schade. Ich hätte ihm einen langsamen Tod gewünscht. Kannst du das verstehen?«
Wiebke schüttelte den Kopf. »Aber ich kann deinen Gedankengang nachvollziehen, Ilka. Also, wie gesagt, wir suchen nun nach seinem Mörder. Kannst du mir erzählen, was damals passiert ist?«
»Ich hab das schon hundertmal getan, und jedes Mal fühle ich mich dabei so, als würde ich alles noch einmal erleben.« Ilkas Augen schimmerten feucht. »Kannst du dir vorstellen, wie das ist?«
»Ich fürchte, nein. Allerdings hat man uns auf der Polizeischule vorbereitet. Sie haben die Fälle der Vergangenheit analysiert. Man hat uns erzählt, wie sich die Opfer fühlen, was sie denken.«
»Warum willst du es dann von mir hören?« Trotz schwang in ihrer Stimme mit.
»Ich will keine Theorie, ich will wissen, wie er war. Wie hat er dich gefunden, was hat er gesagt, wie hat er sich verhalten?«
»Wozu das alles?« Ilkas Stimme klang brüchig.
»Ich will ihn kennenlernen. Auch wenn er nicht mehr lebt, will ich versuchen, mich in seine Lage zu versetzen. Nur so wird es meinen Kollegen und mir gelingen, seinen Mörder zu stellen.«
Ilka lachte humorlos auf. »Und was soll das alles? Er ist tot, und das ist auch gut so. Er ist ein Monster, und keine Frau war vor ihm sicher. Es ist gut, dass er nicht mehr lebt, glaub mir.«
»Das mag sein. Aber es ist mein Job, den Mörder zu finden.« Wiebke kam in den Sinn, dass Petersen vielleicht recht hatte und Bente Harmsen wahrscheinlich nicht in der Lage war, jemanden zu töten, auch wenn augenblicklich alles gegen sie sprach.
»Wer auch immer das Schwein auf dem Gewissen hat – er hat uns allen einen großen Dienst erwiesen«, bemerkte Ilka Benning. Sie kratzte sich an der Schläfe – eine Verlegenheitshandlung. Ihr Blick huschte unstet zwischen Wiebke und der Wand hinter der Besucherin umher. Als sie nach den Kluntjes griff, um den weißen Kandis in die Tasse plumpsen zu lassen, zitterte ihre Hand.
»Du bist ihm nach einem Volksfest zum Opfer gefallen?«, fragte Wiebke, die nun ebenfalls – und auch mehr aus Verlegenheit – nach ihrer Tasse griff und trank.
»Allerdings.« Ilka hielt die Tasse mit Daumen und Zeigefinger. Ihr Blick glitt ins Leere. »Wir feiern im Juli die Friedrichstädter Rosenträume . Rosenzüchter kommen in die Stadt, um ihre Pracht zu präsentieren.« Ein fast sehnsüchtiges Lächeln huschte um ihre Mundwinkel. »Die ganze Stadt ist ein Rosenmeer, und die Leute kommen von überall hierher. Natürlich gibt es auch andere Stände, an denen Liköre gereicht, kulinarische Spezialitäten verkauft und an denen Souvenirs verkauft werden, die irgendwas mit Rosen zu tun haben. Ich liebe das Fest, weil die Rose meine Lieblingsblume ist – war. Bis zu dem Tag.«
»Was ist geschehen?«
»Ich war eine der Landfrauen, die in historischer Tracht zwischen den Ständen der Aussteller herumflanieren. Das ist üblich und kommt bei den Besuchern gut an. Wir werden mit kleinen Präsenten ausgestattet, die wir an die Gäste verteilen. Du musst wissen, ich mag den Umgang mit Menschen und bin offen für alles.
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