Tod mit Meerblick: Schleswig-Holstein-Krimi
unaufgeklärten Vergewaltigungen auf, die sich im gesamten Großraum Nordfriesland abgespielt haben.« Petersen tippte auf die erste Liste. »Stell dir vor, es gibt einige Übereinstimmungen.« Er grinste breit. »Zwischen 1995 und dem letzten Jahr hatten wir Probleme mit einem Serientäter, der bis zum heutigen Tage nicht gefasst werden konnte. Anfangs gab es Probleme mit der Identifikation, die DNA-Analyse kam erst ab 1998 richtig in Gang, und einige Fälle sind bis heute nicht erfasst. 2002 hatten wir bereits 243000 Datensätze, 32000 davon waren Spuren aus ungeklärten Straftaten.«
»Ich glaub das nicht.« So langsam dämmerte es Wiebke. Sie hing gebannt an Petersens Lippen.
»Wenn wir uns allein die ersten Fälle vornehmen, wissen wir also bis heute nicht, ob die Delikte dem Serientäter zugeordnet werden können oder völlig anderer Natur sind. Nur die Tatsache, dass er sich seine Opfer anscheinend zufällig auswählt, könnte ein Hinweis darauf sein, dass es sich bei ihm um den gleichen Täter handelt.«
»Die meisten Sexualverbrecher handeln spontan«, warf Wiebke ein.
»Allerdings.« Petersen nickte und hockte sich mit dem Hintern auf die Schreibtischkante. »Nur hatte unser Täter ein Faible für blonde Frauen.«
»Blond, wie Bente Harmsen.«
»Richtig. Nun ist es nicht schwer, hier im Norden eine blonde Frau anzutreffen, aber es ist schon auffällig, dass er sich niemals an einer Dunkelhaarigen verging.«
»Was wurde aus den Opfern?«
»Sie überlebten – meist schwer verletzt und mit psychischen Schäden.«
»Klaus Georgs ein Vergewaltiger?« Wiebke schüttelte zweifelnd den Kopf und nippte von ihrem Kaffee. »Das kann Zufall sein.«
»Bis hierhin muss ich dir recht geben«, nickte Petersen. »Allerdings hatte ich vor einer Viertelstunde einen Anruf aus Flensburg. Piet Johannsen hat festgestellt, dass die Fingerabdrücke von Klaus Georgs mit denen des Serienvergewaltigers übereinstimmen. Du kannst es also drehen und wenden, wie du willst: Unser Mister X hatte nicht nur eine Affäre mit einer verheirateten Frau – er ist auch ein seit Langem gesuchter Serienvergewaltiger.«
Zwanzig
Wiebke hatte sich die Liste mit den Vergewaltigungsopfern kopiert und die alten Akten quergelesen. Da sich die Taten sehr stark ähnelten, waren die Kollegen schon damals von einem Serientäter ausgegangen, der durch das ganze Land reiste. Dabei ging er immer gleich vor: Er suchte sich seine Opfer auf der Straße, zerrte sie in sein Auto, um sie an einem stillen Ort zu missbrauchen. Meist ließ er sie dann nach der Tat dort liegen, wo die Vergewaltigung stattgefunden hatte. Einsame Parkplätze, Wälder, leer stehende Häuser oder Bunker; manchmal auch Schuppen oder eine verlassene Scheune. Es hatte oft tagelang gedauert, bis die Opfer gefunden worden waren.
Wiebke wollte mit den Opfern sprechen, die im Umkreis von Husum lebten. Eine Frau lebte in Friedrichstadt, wo sich auch die Tat ereignet hatte. Wiebke beschloss, Ilka Benning noch heute einen Besuch abzustatten.
»Kommst du mit?«, fragte sie, an Petersen gewandt. Er war gerade damit beschäftigt, das Einsatztagebuch zu aktualisieren, und blickte überrascht auf.
»Wohin soll ich mitkommen?«
»Nach Friedrichstadt. Ich möchte mit einem seiner Opfer sprechen.«
»Was soll das für einen Sinn machen?« Petersen schüttelte den Kopf. »Du legst den Finger in alte Wunden, und die Opfer sind sicherlich froh, wenn sie das Erlebte vergessen können. Es ist lange her, und …«
»Ilka Benning wurde erst im letzten Jahr Opfer eines Gewaltverbrechens«, unterbrach Wiebke ihn. »Sie hat das alles bestimmt noch nicht vergessen.«
»Aber was bezweckst du damit? Klaus Georgs ist tot, Bente Harmsen sitzt in Haft. Mahndorf hat die Hand drauf. Er ist der Staatsanwalt und entscheidet. Der Fall ist für uns abgeschlossen, Wiebke.«
Sie schüttelte den Kopf und erhob sich. »Das sehe ich anders.« Nachdem sie die Unterlagen zusammengesucht hatte, nahm sie die leichte Jacke vom Haken. An der Tür wandte sie sich noch einmal zu Petersen um. »Was ist jetzt – kommst du mit oder nicht?«
»Nein, Wiebke.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe gleich einen Termin bei Mahndorf, den ich nicht verschieben kann. Tut mir leid.«
Das Holländerstädtchen Friedrichstadt lag wie im Tiefschlaf da. Im Wasser der Grachten glitzerte das Licht der tief stehenden Sonne und warf ein buntes Lichterspiel auf die malerischen Giebel der umliegenden Häuser. Ein Boot mit
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